Chandler Limited RS124 Test
Röhrenkompressor à la Abbey Road
Von Felix Baarß am 12. April 2017
Chandler Limited RS124 Test-Fazit
4.5
DELAMAR
SCORE
Ein Röhrenkompressor, der klassisches Beatles-Equipment nachbildet.
Der Chandler Limited RS124 begeistert mit seinem sehr entspannten, souveränen, warmen und weichen Sound. Perfekt für alle, die den klassischen Sound aus den goldenen Zeiten der Abbey Road Studios suchen. Er eignet sich für verschiedenste Einzelklänge und die Buskompression, eher weniger für energisches Sounddesign von Drums & Co. bei modernen Produktionen. Der Preis zeigt, dass es ein Liebhaberstück ist – dieser Röhrenkompressor ist einfach nur anders.
PRO
- Sehr gediegener, relaxter Sound
- Auch bei niedrigstem Attack/Release kommt es nie zu Verzerrungen
- Weitestgehend zuverlässige Abmilderung extremer Pegelspitzen
- SuperFuse-Modus für mehr Punch im Handumdrehen
- Gute Verarbeitung und Haptik
- Abbey Road Feeling
CONTRA
- Nicht aggressiv genug für manche moderne Produktion
Für wen?
Produzenten sowie Mixing- und Mastering-Engineers, die einen sehr relaxten, warm tönenden Kompressor suchen.
Was ist es?
Der Chandler Limited RS124 ist ein Kompressor mit Röhrentechnik, der zum Einbau in 19″-Racks geeignet ist (darin belegt er zwei Höheneinheiten). Es handelt sich um einen Nachbau eines legendären Dynamikprozessors, der 1960 in den Londoner EMI bzw. Abbey Road Studios erstmals zum Einsatz kam – bei praktisch jeder Beatles-Session.
Gleich drei Varianten der ursprünglichen Kompressor-Serie werden nachgebildet – diese hatten unterschiedlichen Einschwingzeiten (Attack-Werte von rund 3/5/6 Millisekunden), die nun am Chandler Limited RS124 zur Wahl stehen. Auch das Release ist regelbar.
In klassischer Manier gibt es keinen Threshold-Regler: Wann der Kompressor zu arbeiten beginnt, wird hier mithilfe der variablen Eingangsverstärkung geregelt.
Um die technischen Hintergründe des »Superfuse«-Modus‘ macht der Hersteller ein Geheimnis, aber natürlich nehmen wir ihn klanglich unter die Lupe. Abgerundet wird die Ausstattung durch ein VU-Meter (Messnadel zur Anzeige der Pegelreduktion) und eine Klinkenbuchse zur Stereo-Verlinkung mit einem zweiten Exemplar.
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Das Gerät ist zum Straßenpreis von 3.498,- Euro (inkl. MwSt. & Versandkosten) im Fachhandel erhältlich.
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Chandler Limited RS124 Test
Erster Eindruck
Das mausgraue Frontpaneel strotzt vor britischem Vintage-Charakter. Die großen »Chickenhead«-Regler für Input & Ouput sowie zwei kleinere für Attack & Release stellen die Hauptbedienelemente dar. Das VU-Meter ist nicht beleuchtet, aber hübsch gestaltet und nützlich um zu sehen, wie schwer der Chandler Limited RS124 schuftet.
Verarbeitungstechnisch und haptisch ist alles bestens – das Frontblech ist gut drei Millimeter dick, der Rest des Chassis macht einen guten Eindruck und die Widerstände der Potis fühlen sich satt an. Im Dauerbetrieb wird das Gerät warm, aber keineswegs heiß.
Bedienelemente
Die grundsätzliche Bedienung kennt man auch von diversen anderen Dynamikprozessoren aus den 1960er-Jahren: Mit dem Input-Regler steuerst Du die Empfindlichkeit der Kompression (Schwellenwert, engl. »Threshold«), die Sättigung des Sounds mit Obertönen durch nonlineare Verzerrungen der Röhren und zunächst auch die Lautstärke. Er beginnt bei quasi -∞ dB – ohne Wenn und Aber, denn auch mit vollem aufgedrehtem Output ist dann kein Mucks zu hören.
Weiter geht es mit den Potis für Attack & Release, die feste Einstellpositionen aufweisen. Das ist bei vielen professionellen Signalprozessoren üblich und ermöglicht exakt wiederholbare Einstellungen. Dabei ist die Anzahl der Stufen hoch genug für klangliche Feinabstimmung (9 für Attack, 11 für Release).
Schließlich geht es zum Output-Regler, der ausschließlich als Attenuator, also abschwächend wirkt. Interessant ist dann noch der mit »FUSE« beschriftete Drehschalter – was der bewirkt, findest Du im Praxiskapitel.
In der Praxis
Kompressionsstärke, Sättigung und Ausgangspegel abstimmen
Die Regelwege von In- und Output sind hoch genug, um jedes anliegende Signal, das deutlich über dem Grundrauschen liegt, nennenswert zu komprimieren und dann wieder abschwächen zu können. Abschwächen? Ja, erstens zum Verhindern von Übersteuerungen und zweitens zur ungefähren Wahrung der Lautheit des ursprünglichen Signals.
Beim Chandler Limited RS124 klappt das stets einwandfrei und sehr fein abstimmbar dank der stufenlosen, supersmooth laufenden Regler mit ihren sinnvoll gewählten Mini- und Maxima. Ob ausschließlich die extremen Pegelspitzen oder fast alle Signalanteile komprimiert werden, liegt in deiner Hand.
Knackige Anschläge gewünscht?
Kommen wir zu den Timing-Parametern beim Chandler Limited RS124. Den Anfang macht das Attack zur Regelung der Zeitspanne, innerhalb derer die vom Input-Regler vorgegebene maximale Kompressionsstärke erreicht werden soll.
Beim Chandler Limited RS124 empfand ich die Möglichkeiten in dieser Beziehung ausreichend weit gefächert – möglich sind eine recht harte, schnelle Kompression bei Attack-Werten von 1 oder 2 bis hin zu einem sehr relaxten, unauffällig komprimierten Sound.
Smooth oder kontrastreich?
Wie üblich bestimmst Du per Release, wie schnell die Kompression nach jeder Überschreitung des Schwellenwerts wieder heruntergefahren werden soll.
Mit Werten von 1 oder 2 ist der ist die Kompression hier sehr markant und deutlich, aber – und das ist ein starkes Qualitätsmerkmal – neigt nie zu einem verzerrten Sound. Viele andere Kompressoren kranken genau daran, wohingegen hier alles natürlich und trotzdem zackig klingen kann. Wunderbar.
Halt mich fest!
Ungewöhnlich: Jede zweite Einstellposition des Release-Reglers (also die mit roten Punkten markierten Zwischenstufen) bewirkt eine theoretisch unendlich langanhaltende Kompression. Also ein unendliches Release, was hier treffend »Hold« genannt wird.
Im Zusammenspiel mit dem Input-Regler wirkt das gewissermaßen wie eine Sicherheitssperre gegen unvorhergesehene Pegelspitzen, die sonst womöglich nicht vollständig abgemildert werden. Es bewirkt eine permanente Lautstärkeabsenkung, getriggert von der allerersten erkannten Pegelspitze über dem Schwellenwert. Das Handbuch enthüllt ein paar Details aus der historischen Praxis in den Abbey Road Studios.
Ich persönlich brauche diese Funktion nicht. Beim Wechsel von einer normalen Release-Einstellung zur nächsten hat sie mich immer ein wenig aus dem Flow gerissen.
SuperFuse
Der ominöse Drehschalter ganz rechts aktiviert den sogenannten SuperFuse-Modus. Er lässt nicht nur die rote LED kräftiger leuchten, sondern macht den Sound in meinen Ohren auch ein ganzes Stück lebendiger.
Damit einher geht, dass das Timing der Kompression schneller wird. Die tatsächlichen Werte für Attack und Release verringern sich also schlagartig. Wie schon beschrieben, treten aber auch in diesem Modus praktisch nie übergebührliche Verzerrungen zutage. Klasse!
Kein Haudrauf
Abschließend sei betont, dass der Chandler Limited RS124 eher zu den gemütlichen Kompressoren zählt. Selbst im SuperFuse-Modus und mit den niedrigsten Attack/Release-Werten sind nicht so heftig komprimierte Sounds möglich wie mit den meisten anderen mir vertrauten Kompressoren. Das bewusste Zusammenstauchen von Drums & Co. ist nicht wirklich möglich.
So eignet sich das gute Stück hervorragend für Blues, Jazz, Folk und alle anderen akustisch geprägten Stile. Für alles andere nur mit gewissem Vorbehalt, wobei es darauf ankommt, wie weit Du die Kompression (über-)treiben willst.
Klangbeispiele vom Chandler Limited RS124
Drums I – Original ohne Kompression
Drums I – komprimiert – Attack 2, Release 1, SuperFuse
Drums II – Original ohne Kompression
Drums II – komprimiert – Attack 6, Release 2, SuperFuse, Input maximal
Gitarre, perkussiv – Original ohne Kompression
Gitarre, perkussiv – komprimiert, Attack 1, Release 4
Gitarre – Original ohne Kompression
Gitarre – komprimiert, Attack 2, Release 3
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Chandler Limited RS124 Test-Fazit
Der Chandler Limited RS124 ist ein Kompressor für alle, die Folgendes suchen: Den legendären Sound der EMI-Studios – später Abbey Road – perfekt nachgebildet und um ein paar Features bereichert, obendrein technisch modernisiert. Alle drei der originalen RS124-Modelle sind mit ihren unterschiedlichen Einschwingzeiten in einem Gerät versammelt.
Der Grundsound ist besten Sinne warm und weich, wie man es von den hochwertigen Röhren erwarten darf, doch auch der Kompressionscharakter neigt zum Gemütlichen. Stets stellt sich schnell ein sehr musikalischer Klang ein. Das hat ganz gewiss auch damit zu tun, dass selbst bei niedrigen Attack- und Release-Werten nie hörbare Verzerrungen auftreten.
Im diesem Rahmen wird ausreichend Flexibilität für verschiedenstes Material geboten. Den ausreichend breit gefächerten Regelwegen aller Parameter sei Dank, ebenso dem SuperFuse-Modus für eine Extraportion Schmiss – er sorgt u.a. für schnellere Attack- und Release-Zeiten (der Rest ist geheim). Fest steht, dass ich überwiegend in diesem Modus unterwegs war, wenn mich der Sound mal wieder zu einem zufriedenen Grinsen einlud.
Wir haben es hier mit einem Produkt zu tun, dass seinen Kaufpreis vor allem durch die großen Namen EMI und Abbey Road rechtfertigen möchte. Klar, der Sound ist wunderbar, auch Verarbeitung und Haptik sind erstklassig. Aber für mich persönlich ist weder die Eigenheiten genau dieses Klangbilds, noch der Legendenstatus der Vorbilder Grund genug, so tief in die Tasche zu greifen.
Für die meisten Musiker und Produzenten werden Geräte wie ein Manley Core [Testbericht], der kompakte Drawmer 1978 [Testbericht] oder gar der vergleichsweise günstige Chameleon Labs 7720 [Testbericht] attraktiver sein. Die beiden Letztgenannten sind sogar stereofähig. Und selbst der rund 4.500 Euro teure Manley Variable MU ist günstiger, weil ebenfalls zweikanalig ausgelegt.
Wer aber genau diesen Sound sucht, der schon die Sessions der Beatles mitgeprägt hat, und das nötige Kleingeld hat, wird hier bestens bedient. Die Preis-Leistungs-Verhältnis kann im Chandler Limited RS124 Test aus den genannten Gründen aber »nur« in eine sehr gute Wertung münden – viereinhalb von fünf Punkten gibt’s für edelsten Vintage-Sound britischer Couleur.
Features Chandler Limited RS124 Review
- Hersteller: Chandler Limited
- Kompressor mit Röhrentechnik
- Zum Einbau in 19″-Racks geeignet
- Röhren vom Typ 6BC8, 6CG7 und 6AL5
- Trafosymmetrierter Input & Output
- Ausgangsimpedanz wahlweise 200 Ω oder 600 Ω
- Eingang & Ausgang via XLR
- Stereo-Verlinkung per 6,3-mm-Buchse
- Internes Netzteil
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