Linux für die Musikproduktion? Ein Blick über den Tellerand
Von Marcel Schindler
Linux für die Musikproduktion? Ein Blick über den Tellerand
Derzeit buhlen in erster Linie zwei große Betriebssysteme um die Gunst der Musiker. Das erste Betriebssystem kennt jeder: Es heisst Windows und bezieht seine Stärke vor allem durch die hohe Verbreitung im Markt und die daraus resultierende hohe Verfügbarkeit von Plugins und Software. Wahrscheinlich noch wichtiger als dies, ist die nahezu unendliche Unterstützung für verschiedenste Hardwarekomponenten. Windows lässt sich praktisch auf jedem Computer installieren und verwenden. Allerdings werden Microsoft Windows auch mangelnde Stabilität, zu geringe Performance und ein zweifelhaftes Sicherheitskonzept vorgeworfen.
Das andere große Betriebssystem kommt vom Mitbewerber Apple und nennt sich Mac OS. Es glänzt in erster Linie durch sehr hohe Stabilität, ein bisher unerreichtes Bedienkonzept, wie ich finde, und eine hohe Leistungskraft – selbst auf älteren Macs. Mac OS kann ausschließlich auf Hardware aus dem Hause Apple betrieben werden (inzwischen gibt es allerdings einige Ausnahmen) und das bedeutet eine deutlich höhere Investitionen für den Musiker.
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Linux zum Musik machen?
Jenseits dieser beiden gibt es jedoch ein weiteres, wichtiges Betriebssystem namens Linux. Dieses kann schon durch die geringen Kosten punkten: Linux erscheint in so genannten Distributionen, die zum großen Teil kostenlos aus dem Internet bezogen werden können. Linux kann weiterhin mit einer extrem breitgefächerten Hardwareunterstützung, sehr niedrigen Hardwareanforderungen und einem sehr gut durchdachten Sicherheitskonzept punkten. Auf der Kehrseite muss man leider sagen, dass Linux deutliche Nachteile in puncto mangelnder Unterstützung durch kommerzielle Softwarehersteller hat. Dies hat eine dementsprechend beschränkte Auswahl an Musikprogrammen und insbesondere an Plugins zur Folge.
Dennoch bin ich der Meinung, dass es sich lohnt, über den Tellerand zu schauen und sich auf das Abenteuer Linux einzulassen. Der Einstieg wird dem geneigten User leicht gemacht. Dank so genannter Live-CDs kann jeder interessierte Musiker Linux auch ohne vorherige Installation seinem Studio-Rechenknecht ausprobieren. Hierzu wird einfach eine besagte Live-CD in das DVD-Rom eingelegt und davon gebootet.
Linux „geniesst“ noch immer den Ruf, ein reines Nerd-Betriebssystem für Computerexperten zu sein. Dieser Ruf wird der Tatsache geschuldet, dass auch heute noch einige Arbeitsschritte, die unter Mac OS oder Windows problemlos mit wenigen Klicks erledigt werden können, unter Linux erst durch das manuelle Bearbeiten von Konfigurationsdateiern im Text-Editor erfordern. Die heute verfügbaren Linux-Distributionen haben in den letzten Jahren vor allem in Sachen grafischer Bedienung stark zugelegt, so dass dies heutzutage nicht mehr der Standardfall ist. Auch Musiker, die weniger gut in Linux bewandert sind, können heute mit dem System umgehen.
Was muss ich beachten, wenn ich Linux zum Musik machen nutzen möchte?
Im Normalfall läuft Linux nach der Installation absolut schmerzfrei und benötigt nicht mehr Konfigurationsarbeit als ein herkömmliches Windows oder ein Mac OS. Für eine sinnvolle Arbeit mit Audio beim Musik machen wird aber dennoch etwas Fine-Tuning notwendig. Denn der grösste Teil der am Markt verfügbaren Musiksoftware macht erst dann Sinn für die Musikproduktion, wenn ein Echtzeit-Zugriff auf die Audiotreiber möglich ist.
Daher sollte man zuerst noch den im System befindlichen Audio-Geräten die Möglichkeit einräumen, in Echtzeit zu arbeiten und diesen daher Realtime-Prioritäten zuweisen. Über die Konsole kann man dies einfacherweise in die entsprechenden Konfigurationsdateien eintragen.
Für Ubuntu 9.04 lauten die Befehle zum Beispiel so:
sudo su -c 'echo @audio - rtprio 99 >> /etc/security/limits.conf'
sudo su -c 'echo @audio - nice -19 >> /etc/security/limits.conf'
sudo su -c 'echo @audio - memlock unlimited >> /etc/security/limits.conf'
Diese Befehle sorgen dafür, dass in der Konfigurationsdatei limits.conf festgelegt wird, dass Audio immer die höchste Prioritätsstufe geniesst. Das sollte für die meisten Anwendungen ausreichen. Wer es ganz genau wissen will, kann zusätzlich den Linuxkernel durch einen so genannten Realtimekernel austauschen. Empfehlen würde ich das zum heutigen Zeitpunkt allerdings nicht, denn laut meinen Erfahrungen reicht der Standardkernel dicke aus.
Musikprogramme für Linux
Für Linux gibt es ein breites Spektrum an Sequencern, DAWs und Effekten, die ich in eine Übersicht mit den wichtigsten Features auflisten möchte. Damit Nutzer von Windows und Mac OS einen ersten Anhaltspunkt bekommen, vergleiche ich diese Musikprogramme mit den Tools aus der Mac/Windows-Welt.
Ardour
Ardour ist eine HDD-Recordinglösung, angelehnt an die Features von DigiDesign Pro Tools. Es können beliebig viele Spuren aufgenommen und miteinander gemischt werden. Ardour unterstützt Effektplugins mit unterschiedlichen Schnittstellen: LADSPA (der Linux-Pluging-Standard), AU (MacOS Schnittstelle) und neuerdings auch die altbekannte VST-Schnittstelle von Steinberg, die sowohl auf Windows als auch auf dem Mac verfügbar ist. Über einen so genannten JACK-Server, der sich am ehesten mit ReWire von Propellerhead Software vergleichen lässt, kann Ardour auch mit anderer Software, wie einem Sequencer oder einer Videoschnittsoftware, gekoppelt und synchronisiert werden.
Rosegarden
Rosegarden ist ein MIDI-sequencer, der sich Cubase als Vorbild genommen hat. Die Audiofunktionen sind nicht wirklich toll, können aber dank einer Koppelung mit Ardour über Jack ersetzt werden. Auch in Rosegarden funktionieren Plugins verschiedenster Coleur und Schnittstelle.
Renoise
Renoise ist der Tracker, den ich hier auf delamar bereits im Vorfeld dieses Artikels vorgestellt habe. Renoise erscheint seit einiger Zeit nicht nur für Linux, sondern gleichwohl für Windows und Mac. Dank seiner Unterstützung von LADSPA und Jack kann Renoise ebenfalls mit anderen Musikprogrammen wie Rosegarden und Ardour gekoppelt werden.
LMMS
LMMS ist ein Programm Linux (und Windows), das sich in Optik und Funktionalität an FL Studio orientiert. Zwar erreicht das Musikprogramm leider nicht ganz die Möglichkeiten eines FL Studios, wenn die Entwicklung jedoch weiter so vorangetrieben wird wie bisher, wird man in Zukunft seine FL-Projekte auch mit LMMS bearbeiten können.
MIXXX
MIXXX ist eine DJ-Software für Linux. Es bietet Unterstützung für sehr viele MIDI-Geräte und harmoniert auch perfekt mit den Timecode-CDs bzw. den Timecode-Vinyls von Native-Instruments Traktor oder Rane Serato.
LADSPA
LADSPA ist der Linux-Standard für Audio- und Effektplugins. Diese Effekte kann man in Masse über den Synaptic-Paketmanager beziehen, so dass für alle Anwendungszwecke gesorgt sein dürfte. Es finden sich Reverbs, Delays, Flanger und alles andere, was das Musikerherz begehrt. Klanglich können diese Effekt-Plugins teilweise mit kommerziellen Lösungen mithalten, bzw. deren Leistung sogar übertreffen.
JACK
Als Jack wird das Jack Audio Connection Kit abgekürzt, das eine virtuelle Verkabelung von verschiedener Audiosoftware erlaubt. Mit Jack ist unter Linux auch ein flexibles Routing auf unterschiedliche Ausgänge der Soundkarte / Audio Interface möglich.
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Über den Tellerrand geblickt? Linux für die Musikproduktion!
Ich hoffe, ich konnte dir einen kleinen Einblick in die Welt der Musikproduktion auf Linux geben. Einer Welt, in der die erwähnte Musiksoftware in Form von kostenlosen Programmen vorliegt. Natürlich gilt im Tonstudio immer der Satz: „Never change a running system“ – aber vielleicht ist dein Interesse für Linux zum Musik machen ja dennoch geweckt worden.
Vielleicht testest Du Linux mal auf einem schwachbrüstigen Notebook oder gar, wenn Du dir ein Netbook zulegst. Hier nochmals ein kleiner Anreiz: Die Performance von Linux ist insbesondere mit einem Realtime-Kernel nahezu unschlagbar, auch auf langsamen Computern.