Von Jamule lernen
Das Hitrezept von Liege wieder wach
Von Thorsten Sprengel am 28. Mai 2021
Warum Songwriting & Producing Tipps zu „Liege wieder wach“?
„Liege wieder wach“ von Jamule ist direkt in die deutschen Top 10 eingestiegen. Auf Platz 3 in den offiziellen Charts und aktuell auf Platz 2 bei Spotify. Jamule und seine Producer Miksu und Macloud halten einige Überraschungen für uns in diesem Hit bereit.
Doch wie sehen diese aus? Was kannst Du aus dem Songwriting und Producing mitnehmen? Das Hitrezept hinter „Liege wieder wach“ wird im Folgendem ganz genau beleuchtet.
Reinhören: Jamule mit Liege wieder wach
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#7 Willkommene Abwechslung in den urbanen Genres
Zunächst stellt sich die Frage, zu welchem Genre der Song gehört. Kann „Liege wieder wach“ noch zu Urban bzw. Hip-Hop gezählt werden oder ist das schon Pop?
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Der Song ist ganz klar dem Pop zuzuordnen. Es handelt sich um Radio-Pop mit urbanen Drums und vielen Einflüssen aus aktueller Rap-Musik. Eine wunderbare Collage, die beide Musikrichtungen gekonnt vereint und, wie die Kommentare unter dem Video zeigen, die Anhänger der Richtungen auch versöhnt.
Das Vereinen von Fans mehrerer Stilrichtungen sorgt für mehr zufriedene Hörer
Der Artist Jamule ist sehr vielseitig und kann harte Lines genauso wie eine gefällige Melodie performen. Bei diesem Song ist aber sein Hang zum Melodiösem und dadurch auch sein Appeal für den Mainstream deutlich heraus zu hören.
Und in diese Breitenwirkung für die Masse passt sich das zugrunde liegende Thema von „Liege wieder wach“ ein. Der Inhalt weiß sicherlich auch die Frauenwelt richtig anzusprechen. Jamule vertont seine Sehnsucht nach einer Trennung und drückt dies nicht nur durch den sehr gefühlvollen Beat aus.
Auch der Songtext ist eine willkommene Abwechslung zur sonst üblichen urbanen Thematik mit unter anderem männlichem Imponiergehabe. Jamule überrascht in diesem Song mit einem Text, der klingt, als würde er einen tiefen Trennungsschmerz verarbeiten. Der Text hat Tiefgang und spricht deswegen mehr Menschen als andere Künstler seines Genres an.
Die Verletzlichkeit und Intimität zwischen seinen Zeilen unterstreicht seine Ambition, nach ganz oben zu gelangen. Dafür braucht es das Wohlwollen gerade der weiblichen Zielgruppe.
Takeaway: Mit dem eigentlichen Genre brechen und etwas außergewöhnliches machen. Dies funktioniert sowohl textlich als auch musikalisch Im Idealfall Fans von mehreren Stilrichtungen gleichzeitig ansprechen.
#6 Der Künstler als Vermittler des Musikstücks
Der Erfolg eines Musikstücks lässt sich nie ganz von der Person des Künstlers trennen. Jamule stammt aus Essen. Das ist aktuell eine richtige Hip-Hop-Hochburg. Aus Essen kommen auch seine Producer Miksu und Macloud sowie sein Label Life is Pain und dessen Boss PA Sports.
PA Sports hat es auf den Punkt gebracht und über Jamule folgendes gesagt: „Er sieht aus wie ein Model, hat eine interessante Identität, eine interessante Geschichte. […] eine der krassesten Stimmen, die es jemals gab in Deutschland.“
Jamule vereint gutes Aussehen, eine spannende Background-Story und großartiges Talent in einer Person. Das sind die unabdingbaren Ingredienzien für einen Star. Dabei spielt die Musikrichtung keine Rolle.
Jamules Stimme ist einzigartig. Sie ist sehr einfach wiederzuerkennen und sticht aus der Masse heraus. Das mögen Jamules Fans neben seinem Flow an ihm.
Takeaway: Das Talent und die Ausstrahlung eines Künstlers trägt unmittelbar zum Erfolg eines Songs bei.
#5 Die Produzenten schreiben den kompletten Song
Der Song ist handwerklich richtig gut gemacht und schafft es über die gesamte Spiellänge hin interessant zu bleiben. Dabei ist er mit fast drei Minuten deutlich länger als viele andere Songs aus den Charts bzw. aus dem Hiphop.
Eine kürzere Spiellänge hätte Jamule vielleicht gleich auf den Spitzenplatz in den Charts katapultiert, da sich durch eine kurze Spieldauer die Anzahl der Streams nachweislich vervielfacht. Während ein Song mit drei Minuten Länge nur zwei Mal in sechs Minuten gespielt werden kann, geht das gleich drei Mal bei einer Spieldauer von nur zwei Minuten.
Die Tendenz zu immer kürzeren Songs lässt sich schon seit geraumer Zeit in den Charts absehen und das wird durch das Streaming und dessen Algorithmen sicher noch weiter verstärkt.
Radiosongs liefen früher noch mindestens drei Minuten. Heute schaffen es viele nur noch auf etwas über zwei Minuten. Das ist zumindest in den urbanen Stilen der Fall. Aber Jamules „Liege wieder wach“ schafft es trotz seiner drei Minuten gleich auf Anhieb in die Charts.
Die beiden Beat Producer Miksu und Macloud scheinen derzeit ein Garant für den Chart-Erfolg zu sein, wie sie auch schon mit anderen Artists wie Bausa, Apache 207, Capital Bra, Loredana, Juju und Nimo gezeigt haben.
Überraschend ist hier, dass Miksu und Macloud bei „Liege wieder wach“ nicht nur für das Instrumental verantwortlich zu sein scheinen. Offenbar haben sie den gesamten Song inklusive Text geschrieben. Das ist sehr ungewöhnlich im Hip-Hop Bereich.
Takeaway: Schreibe Songs mit nur etwas mehr als zwei Minuten Laufzeit, damit diese mehr Streams erreichen können. Produzenten können zusätzlich auch komplette Songs alleine schreiben.
#4 Ungewöhnliches Song-Arrangement
„Liege wieder wach“ beginnt ganz gewöhnlich mit einem Intro von vier Takten, in denen ein E-Piano mit leichtem Sidechain und schwebendem Sound spielt. Dann folgen acht Takte mit der ersten Strophe, in denen sich der Song steigert.
Insgesamt sieht der Aufbau folgendermaßen aus: vier Takte Intro, acht Takte Strophe und dann vier Takte eine Art Pre-Chorus. Dieser ist eine Überleitung in den darauf folgenden achttaktigen Chorus.
Nach dem Chorus geht es weiter mit der zweiten Strophe und einem zweiten Chorus. Interessanterweise wird vor dem zweiten Chorus kein Pre-Chorus mehr gespielt. Dieser ist erst wieder vor dem dritten Chorus zu hören. An dieser Stelle fungiert der Pre-Chorus fast wie eine Bridge.
Die Producer und Komponisten Miksu und Macloud wollten wahrscheinlich schneller zum zweiten Chorus kommen und haben deshalb auf den Pre-Chorus vor dem zweiten Refrain verzichtet. Das ist für Radiomusik eher ungewöhnlich und sehr schlau gelöst.
Nach dem dritten Chorus kommt eine Art Bridge, die aber eigentlich nur der erste Teil des Chorus ist. Hier allerdings ohne Stimme. Jamule setzt dann wieder mit dem zweiten Teil des Chorus ein. Das ist schließlich der finale Chorus oder Refrain, der auch als Outro dient.
Das ist ein ungewöhnliches Song-Arrangement für einen urbanen Popsong, das aber sehr gut gelöst wurde. Der Song wird an keiner Stelle langweilig oder langatmig.
Takeaway: Überrasche die Hörer mit ungewöhnlichen Song-Arrangements ohne das Genre zu weit zu verlassen.
#3 Variationen im Songwriting
Das Songwriting in diesem Song ist großartig gelungen und wichtig für den Erfolg dieses Tracks. Der Song hat richtig viele Hooks, die einen Ohrwurmcharakter haben und dich zudem sehr schnell durch das Arrangement tragen.
Der Song „Liege wieder wach“ baut auf lediglich vier Akkorden auf, die wir schon aus unzähligen Popsongs kennen. In Stufen gesprochen sind das die 1., 4., 5. und 6. oder Tonika, Subdominante, Dominante und Tonika-Parallele.
Das sind die vier typischen Akkorde für 80 Prozent der Chart-Hits der letzten 70 Jahre. Aber in Jamules „Liege wieder wach“ werden sie in drei eher untypischen Abfolgen genutzt.
Die Strophen arbeiten mit der Abfolge 6-5-4 und 1. Das ist nicht ganz unähnlich zu „Stairway to Heaven“ oder „All Along the Watchtower“. Allerdings wechseln die beiden Songs nicht mehr auf die erste Stufe, sondern gehen in die Wiederholung.
Im Chorus von Jamules „Liege wieder wach“ werden dieselben vier Akkorde genutzt, deren Abfolge wird aber zu 6-1-5-4 verändert. Diese Variante ist auch ungewöhnlich, funktioniert dennoch sehr gut.
Und jetzt wird es noch einmal spannend: Für den Pre-Chorus oder die Bridge, je nachdem wie wir diesen Songteil nennen wollen, wird eine dritte Variante derselben vier Akkorde genutzt.
Die Akkordfolge des Pre-Chorus ist aus dem Refrain von Helene Fischers „Atemlos“ bekannt
Im Pre-Chorus werden die vier Akkorde endlich in der „richtigen“ Reihenfolge für Popsongs spielt. Die Komponisten lassen sich aber auch hier etwas besonderes einfallen und fangen ungewöhnlicherweise auf der vierten Stufe an. Sie spielen also: 4-1-5-6.
Die Akkorde werden in der ersten Strophe jeweils einen ganzen Takt gespielt, in der zweiten Strophe, dem Pre-Chorus und dem Chorus aber nur noch einen halben Takt. Sie werden also doppelt so schnell gewechselt, was dem Song in diesen Parts ein schnelleres Gefühl verleiht und damit das Energielevel in diesen Songteilen steigert.
Bemerkenswert ist nicht nur, dass die Akkordfolgen auf ungewöhnliche Weise eingesetzt werden. Auch dass die Akkorde in der zweiten Strophe doppelt so schnell gewechselt werden, ist ein cleverer Trick, der dem Song zugute kommt.
Der veränderte Rhythmus der Akkordwechsel in der zweiten Strophe ist dafür verantwortlich, dass sich die Melodie der ersten Strophe nicht mehr in der zweiten wiederholt. In der zweiten Strophe wird eine andere Melodie als in der ersten gesungen.
Vermutlich ist genau dieser Wechsel im Flow bzw. der Melodie in der zweiten Strophe dafür verantwortlich, dass der Song nicht zu schnell langweilig wirkt.
Takeaway: Variationen von beliebten Akkordfolgen, der ungewöhnliche Einsatz dieser und Abwechslung im Rhythmus sorgen für viele kleine Hooks, die einen Song nicht zu schnell langweilig wirken lassen.
#2 Energielevel steigern und absenken
Sehr wichtig für die Hitformel in Jamules „Liege wieder wach“ ist der Verlauf der Song-Energie oder wie stark die einzelnen Songteile wirken. Der Track fängt leise mit dem schwebenden Intro an und steigert sich sofort mit dem Einsatz von Jamules Stimme in der Strophe.
Nach den ersten vier Takten der Strophe steigert das Instrumental seine Energie erneut. Es kommt ein tiefes Pad im Fundament hinzu und das E-Piano spielt zusätzliche Noten, was für mehr Bewegung sorgt. Die einsetzenden Snaps und ihr langer Hall geben dem Song zusätzliche Energie und treiben den Song rhythmisch voran.
Innerhalb der ersten vier Takte der Strophe steigert sich die Melodie der Stimme im dritten Takt bei den Worten „Seh’s an deinem Blick, Du vermisst uns“ und auch im nächsten Durchgang im siebten Takt der Strophe bei „Denn ich schmeck‘ noch immer deinen Lipgloss“.
Gerade an der ersten Stelle fügen sich Melodie und Inhalt sehr gut zusammen, so dass die Zeile „Du vermisst uns“ stark betont wird. Nicht ganz so stark ist der Text an der anderen Stelle. Aber auch hier wird der Fokus auf eine inhaltlich wichtige Stelle gelenkt. Es geht um den letzten Kuss.
Das Energie-Level wird dann im Pre-Chorus erneut gesteigert, wenn die Akkorde schneller wechseln und gleichzeitig die Percussion und die Drums einsetzen. Die Stimme von Jamule wird zudem etwas lauter und breiter im Mix und erhält mehr Hall bzw. Delay.
Kurz vor dem Chorus wird die Energie dann fast komplett herausgenommen. Das ist die Ruhe vor dem Sturm, die auch in anderen von uns besprochenen Hitrezepten eingesetzt wird. Durch das Herausnehmen der Energie direkt vor dem Chorus, wirkt der Chorus durch den Kontrast noch größer und mächtiger.
Im Chorus kommen weitere Instrumente hinzu. Die Drums setzen richtig ein und spielen bei voller Lautstärke. Eine 808 arbeitet als Bass. Dazu werden ein neues Pad und etwas Percussion im Hintergrund hinzugefügt. Die Effekte in der Stimme werden zurückgefahren. Das liegt vermutlich daran, dass hier mehr Worte gesprochen bzw. gesungen werden und der Mix sonst zu stark verschwimmen würde.
Für den allgemeinen Verlauf des Energielevels bedeutet das folgendes. Nach dem Chorus wird die Energie heruntergefahren, indem die Pads im ersten Teil der zweiten Strophe ganz wegfallen. Es bleiben die Stimme und der Beat übrig.
Im zweiten Teil der zweiten Strophe kommen die Pads wieder zurück, so dass sich die Energie wieder steigert. Und kurz vor dem Chorus wird sie wieder auf ein Minimum zurückgefahren. Auf diese Art wechseln sich Täler und Berge immer wieder bis zum Schluss ab.
Takeaway: Abwechslung im Energielevel im Verlauf eines Songs halten die Spannung aufrecht.
#1 Lieblings-Trick: Steigerung innerhalb eines Songteils
Weitere Tricks die angewendet werden sind zum Beispiel das Product Placement des Energy-Drink-Herstellers „effect“ im Musikvideo. Du kannst deine Musikvideos als Werbeplattform nutzen. Zusätzlich ist die Location des Videos dieselbe wie bei Jamules Song „Overdose“. Dies spart Produktionskosten.
Jamules „Liege wieder wach“ arbeitet mit einem ständigen Kontrastwechsel. Dieser findet auf mehreren Ebenen statt. Der Song wird nie langweilig und weiß mit vielen Steigerungen zu überraschen.
Unser Lieblings-Trick ist eine eben solche Steigerung. Diese findet inline, also innerhalb eines Songteils, statt. Der Chorus von Jamules „Liege wieder wach“ lässt sich in zwei Bereiche aufteilen. Im zweiten Teil wird die Energie noch einmal nach oben gezogen.
Um dies zu erreichen, wird die Melodielinie gesteigert, indem sie kurzzeitig in eine höhere Lage wechselt und gefühlt doppelt so viele Silben singt. Gleichzeitig setzen mehrere Dopplungen der Vocals ein, die teilweise Zweitstimmen singen und die Vocals damit noch breiter im Mix machen.
Takeaway: Steigerungen innerhalb von Songteilen, am besten dem Chorus, machen den Song zu etwas Besonderem.
Was lernst Du von Jamule?
Sind dir im Song weitere Besonderheiten aufgefallen? Sind die hier aufgeführten Punkte für dich gut nachvollziehbar? Zu welchem Song wünschst Du dir ein Hitrezept? Wir freuen uns auf dein Feedback.
Hitrezepte von Jamule als Video
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