Wüste, Höhle, Kirche? Die legendärsten Recording Sessions der Musikgeschichte!
Von Lilja Friedemann am 06. März 2019
Abbey Road & die Beatles als Klangpioniere
Die Abbey Road Studios in London – ursprünglich die EMI Studios (»Electrical Musical Industries«) – erlangten spätestens durch die Beatles Kult-Status. Die Pilzköpfe gingen hier von 1962 bis 1970 ein und aus. Sie nahmen fast alle ihrer Alben an diesem heute traditionsreichen Ort auf. Unter anderem auch das legendäre Konzeptalbum »Sgt. Peppers Lonely Hearts Club Band«, aufgezeichnet zwischen November 1966 und April 1967.
Mit ihrem Produzenten George Martin und Toningenieuren wie Geoff Emerick oder Richard Lush erschufen sie zahlreiche kreative Aufnahme- und Mischtechniken – rückwärts abgespielte Spuren, Flanging, Phasing, Soundcollagen und kontrolliertes Feedback waren für die damalige Zeit revolutionär und prägten die Musikproduktion nachhaltig. Unter anderem durch eine Technik namens ADT (siehe Kasten).
Die Recording Sessions der Beatles in den Abbey Road Studios werden jetzt sogar als Musical mit 39 Musikern und 8 Sängern in London auf die Bühne gebracht.
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ADT & Die erste DI-Box der Welt
In den 50ern entdeckte man, dass sich mit zweifach eingesungenen Vocals eines einzigen Künstlers, die zusammengemischt wurden, ein satter, durchsetzungsfähiger Sound erzielen ließ. Zu den Pionieren dieser Technik gehörten Les Paul und Buddy Holly.
1966 entwickelte Ken Townsend das ADT-Verfahren (»Artificial« bzw. »Automatic Double Tracking«) – hier wird ein und dasselbe Vocal (gleichzeitig auf zwei Bändern aufgenommen) verwendet, wobei das eine Band jedoch ein wenig verzögert abgespielt wurde (in der Regel 80‑120 Millisekunden). John Lennon gab übrigens den Anstoß für dieses zeitsparende Verfahren, als er über das ewige doppelte Einsingen der manuellen Variante klagte.
Die Beatles nutzten ADT auf »Revolver« und vielen ihrer darauffolgenden Alben. Dabei wurde zusätzlich ein Oszillator genutzt, der den Wert der Verzögerung automatisierte und in eine Schwingung versetzte. Mit einem Potentiometer konnte der Mittelwert der Schwingung (50 Hertz) verstellt werden. So war alles von klar hörbaren Echos bis hin zu Flanging möglich. Es entstanden die wildesten »Wobbeleffekte«, wie etwa bei den »Roll up«-Background-Vocals von »Magical Mystery Tour«.
Ken Townsend entwickelte für Abbey Road noch eine weitere bahnbrechende Studiotechnologie: die erste DI-Box der Welt. Sie ermöglichte die direkte Einspeisung eines E-Bass-Signals in ein Mischpult. So umging man das Problem, dass mikrofonierte E-Bässe im Regieraum nie so überzeugend klangen wie der Boxensound im Aufnahmeraum. Townsend blickte in späteren Jahren scherzhaft auf seine große Errungenschaft zurück: »Ten out of ten for ingenuity, but no rise in salary!«.
Sun Records – neue Klänge für Rockabilly & Co.
1952 gründete der Hobbymusiker Sam Phillips in Memphis, Tennessee das Independent-Label »Sun Records«. Phillips nahm den damals noch unbekannten Elvis Presley unter Vertrag, weitere zukünftige Stars wie Johnny Cash, Roy Orbison und Carl Perkins sollten folgen.
Das Sun Studio entwickelte sich zum Zentrum für eine frische Spielart des Rock ’n‘ Roll – aus den Einflüssen von Country und Rhythm ’n‘ Blues entwickelte sich Rockabilly. Neben diesem neuen Sound von jungen Musikern, die sich hier die Klinke in die Hand gaben, ist vor allem eine klangliche Eigenheit zu nennen: Das sogenannte Slapback-Delay wurde bei Recording Sessions im Studio von Sun Records geboren. Mehr dazu im Kasten.
Der »Sun Signature Sound« – Slapback & Co.
Das Markenzeichen schlechthin war die Erzeugung eines charakteristischen Echoeffekts mit einer einzigen Wiederholung (kein Feedback). Die Rede ist vom sogenannten Slapback-Delay. Es wurde durch den Einsatz von zwei Bandmaschinen erzeugt (ab 1954: zwei Exemplare des Ampex 350). Die Verzögerungszeit liegt hier bei etwa 75 bis 250 Millisekunden – das ist recht kurz, aber doch so lang, dass das Echo als eigenständige Wiederholung des Quellsignals wahrgenommen wird.
Viele Aufnahmen waren zudem leicht übersteuert (Stichwort: Clipping), was zu einer Anreicherung von Obertönen und damit zu einem leicht verzerrten, schmissigen Sound führte.
Übrigens war das kleine Studio so gut isoliert, dass seine Akustik zu einer gewissen Kompression des Sounds führte. Weiterhin wurden Echo- und Hall-Effekte verwendet, um den Klang von größeren Räumlichkeiten nachzubilden.
Sam Phillips selbst beschrieb den »Sun-Signature-Sound« ganz einfach so: gekonnter Einsatz der Mikrophone, kombiniert mit einer spärlichen Instrumentation.
Balver Höhle – Die Fantastischen Vier, unplugged
Zu den bemerkenswerten Beispielen für musikalische Sessions der jüngeren Vergangenheit zählen die zwei Unplugged-Alben der Fantastischen Vier. Beide fanden im Rahmen der MTV-Unplugged-Reihe in der Balver Höhle statt – die im Sauerland gelegene größte offene Hallenhöhle Europas wird wegen ihrer besonderen Atmosphäre und Akustik für kulturelle Veranstaltungen genutzt.
Die erste Session fand im Jahr 2000 statt, die zweite 2012. Damit waren die Fantastischen Vier die erste deutsche Band, deren Album sich mit dem MTV-Unplugged-Stempel schmücken durfte. Zuvor wurde diese Ehre nur internationalen Top-Acts wie Nirvana oder Bon Jovi zuteil.
Begleitet wurden die Vier bei ihren Auftritten von über einem Dutzend professioneller Musiker und Backgroundsänger. Neben Schlagzeug, Kontrabass und Akustikgitarre spielten die Veteranen des deutschen Hip-Hop auch auf einer Sitar und einer Motorsäge.
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Headley Grange – Led Zeppelin, Landidylle und ein mobiles Studio
Nach einer Empfehlung von Fleetwod Mac nahmen Led Zeppelin Teile ihres Albums »Led Zeppelin IV« in einem alten viktorianischen Haus in East Hampshire, England auf. Die Rede ist von Headley Grange. 1795 erbaut, diente das dreistöckige Gebäude ursprünglich als Armen- und Waisenhaus.
Zum Aufnehmen nutzten Led Zeppelin das mobile Studio der Stones – das »Rolling Stone Mobile«. Damit folgten sie dem Beispiel vieler namhafter Bands wie den Dire Straits, Deep Purple oder Bob Marley.
Robert Plant schrieb den Großteil der Lyrics zu »Stairway To Heaven« an einem Tag in Headley Grange. Der Song »Black Dog« handelt von einem schwarzen Labrador-Retriever, der zu dieser Zeit im Garten von Headley Grange herumstreunte.
Jimmy Page erzählt, dass sich die Band für Headley Grange entschied, um gemeinsam Musik zu leben. In einer so idyllischen, urigen Umgebung konnte man auch einmal in aller Ruhe Tee trinken oder im Garten spazieren gehen … und damit konzentriert Songs schreiben und musizieren, ohne unterbrochen zu werden.
Desert Sessions – Josh Homme & Freunde
Nachdem sich seine Band Kyuss 1996 auflöste, startete Josh Homme – heute vor allem als Sänger der Queens Of The Stone Age bekannt – mit seinem Kumpel und Bandkollegen Brant Bjork die »Desert Sessions«. Zwischen 1997 und 2003 fanden sich die Musiker zu zehn Sessions zusammen, aus denen jeweils ein Album entstand.
Er wählte anfangs hauptsächlich Musiker aus der kalifornischen Kleinstadt Palm Desert, um mit ihnen zu jammen. Darunter waren bekannte Köpfe wie Alfredo Hernández, Dave Catching, Fred Drake, Ben Sheperd, Nick Oliveri, Brian O´Connor oder Chris Goss. Zunächst orientierten sich die Sessions sehr am Stoner Rock, mit der Zeit kamen aber auch Musiker aus anderen Szenen hinzu, etwa Hommes damalige Freundin PJ Harvey. Insgesamt waren über 30 Musiker beteiligt.
Die Desert Sessions fanden in einer alten Ranch statt, die bis unter die Decke mit seltenen Instrumenten und einzigartigem Recording-Equipment gefüllt war. Die Songs entstanden stets in wenigen Stunden. Oder, so munkelt man, einmal sogar in nur vier Minuten wie im Fall von »Creosote« – Dean Ween und Alain Johannes sollen sich dabei auf der Veranda der Ranch getroffen und sofort musikalisch harmoniert haben.
Die gleiche Geschichte erzählt man sich vom Aufeinandertreffen von Chris Goss und PJ Harvey, wobei der Song »There Will Never Be A Better Time« entstand. Gleich danach haben sie den Song in einem einzigen Take aufgenommen.
Josh Homme beschreibt die musikalischen Zusammenkünfte wie folgt: »At Desert Sessions, you play for the sake of music«. Und: »It’s easy to forget that this all starts from playing in your garage and loving it«. Aus den Desert Sessions entstand letztendlich Hommes bekanntestes Projekt: Die Queens Of The Stone Age.
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Church Studios – Sessions in der Kirche
1850 wurde im Londoner Stadtteil »Crouch End« eine Kirche gebaut, die noch große Bedeutung in der Musikgeschichte erlangen sollte. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde sie zum einem ein wichtiger Teil der kreativen Szene dieses Viertels.
1980 kauften die Animatoren und TV-Produzenten John Hardwick und Bob Bura das Gebäude. Ab 1984 vermieteten sie Teile des Gebäudes an Künstler. Den großen Raum im Obergeschoss zum Beispiel an keine Geringeren als Eurythmics – Dave Stewart und Annie Lennox bauten den Raum zu einem brandneuen Studio um und beendeten dort ihr Debütalbum »Sweet Dreams«.
Von da an waren die Church Studios ein wichtiger Teil des Londoner Musikszene. Lennox und Stewart kauften das Gebäude schließlich und nahmen darin den Großteil ihrer Musik auf. Sie hießen auch viele andere Stars willkommen, beispielsweise Bob Dylan, Depeche Mode, Radiohead, My Bloody Valentine, Elvis Costello und David Gray.
Letzterer übernahm das Studio genau 20 Jahre nach der Veröffentlichung von »Sweet Dreams«. Seine Inhaberschaft hielt jedoch nicht lange an, denn die seit der Jahrtausendwende stetig schrumpfenden Budgets machte auch vor den Church Studios nicht Halt.
Glücklicherweise war diese Stätte aber doch nicht vom Sterben der Studios betroffen – der britische Produzent Paul Epworth übernahm das Gebäude, vervollständigte den Ausbau und schuf ein Weltklasse-Studio des 21. Jahrhunderts. Seit 2014 startet man ganz neu durch: U2 nahmen hier Teile ihres Albums »Innocence« auf.
Auch Adele war schon zu Gast – im Video bekommt man einen guten Eindruck von der Studioumgebung in den Church Studios:
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Hansa-Tonstudios – Stars unter einem Dach
1960 gründeten die Gebrüder Meisel in Berlin die »Hansa Musikproduktion«. Nach 1965 nutzten sie für ihre Aufnahmen zum größten Teil den großen Meistersaal der Hansa-Tonstudios, der später als »Hansa Studio 2« (»The Big Hall By The Wall«) Bekanntheit erlangen sollte.
Aufgrund der stetig steigenden Anzahl von Produktionen beschloss man zu Beginn der 70er-Jahre, die Hansa Tonstudio GmbH zu gründen, um unabhängig produzieren zu können. Die Gebrüder bauten ihr eigenes Studio, errichteten ein ganzes Musikproduktionshaus und produzierten von nun an einen Hit nach dem anderen – etwa von Mireille Mathieu, Drafi Deutscher, Marianne Rosenberg und Juliane Werding.
Weltbekannt wurde das Studio in den 1970er Jahren vor allem durch David Bowie, der hier mit Produzent Tony Visconti seinem Hit »Heroes« erschuf. Es entstanden mehrere Alben (»Low«, »Heroes« und »Lodger«) sowie Produktionen mit Freund und Kollege Iggy Pop.
Anfang der 90er Jahre entschieden sich die Meisel-Brüder, sich wieder zu verkleinern, und beschränkten sich von nun an auf ein Studio: das heute noch genutzte »Studio 1«. Die Anbindung an den Meistersaal ist immer noch gegeben, so nahm beispielsweise die schwedische Band Kent ein Album dort auf, R.E.M. filmten eine Live-Session und Mark Knopfler gab ein Record-Release-Konzert.
Die Idee des »Musikhauses« ist immer noch aktuell – auch heute wird das gesamte Gebäude von kreativen Musik- und Filmemachern genutzt. Bekannte Produzenten und Musiker wie Herbert Grönemeyer, Jack White und Alex Silva arbeiten hier unter einem Dach.
Welche Recording Session ist dein Fevorit?
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