Kolumne
Nonsens & Nichtigkeiten – Wie Du beim Equipment-Kauf geblendet wirst
Von Felix Baarß am 26. Februar 2017
Die Hönigtöpfe der Musikalienindustrie
Hersteller aller Branchen versuchen, ihre Produkte attraktiver aussehen zu lassen, als sie sind – das ist ein ehernes Gesetz der Marktwirtschaft und Klappern gehört zum Handwerk. Was ist schon dabei, wenn man seine Erzeugnisse mit verheißungsvollen Attributen schmückt?
Grundsätzlich erstmal nix. Was allerdings verblüfft, ist die Regelmäßigkeit, mit der bestimmte technische Eigenschaften oder Ausstattungsmerkmale als vorteilhaft dargestellt werden, obwohl das mehr oder minder grober Unfug ist. Und selbst wenn bestimmte Spezifikationen nicht explizit als heilsbringend gepriesen werden, sollte man sich nicht von den bloßen Zahlen einlullen lassen.
Bullshit hat viele Gesichter
So werden gewisse Angaben durch nicht-dokumentierte Messmethoden verwässert. Andere sind zumindest weitestgehend vernachlässigbar, wenn es um einen Zugewinn an Klangqualität geht. Und schließlich gibt es dekadenten Quatsch, der Zweifel an der Vernunft der potentiellen Käuferschaft weckt – für die Hersteller ein gefundenes Fressen, was an sich nicht verwerflich ist, doch manchmal werden geradezu magische Eigenschaften durch gewisse »Veredlungsverfahren« versprochen.
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Nebenbei sei bemerkt, dass es auch sehr subtile Formen des Bullshits gibt. Beispielsweise wenn bei Produkt X vollmundig von den Vorteilen der Bauweise A geschwärmt wird, deren Nachteile bzw. die potentiellen Vorteile von einer ebenso etablierten Bauweise B jedoch elegant verschwiegen werden.
Arbeiten wir mal ein paar Beispiele ab.
»HD Audio« mit 192 Kilohertz!
Eine der am wenigsten nützlichen Spezifikationen ist eine hohe Sample-Rate von 192 kHz oder mehr. Auf den ersten Blick eine unschuldige Zahl und größer ist zwangsläufig besser, gell? Audio Interfaces und anderen Geräte, in denen eine Analog-Digital-Wandlung mit einer derart hohen Sample-Rate stattfindet, tauchten in den letzten Jahren immer häufiger auf.
Das Dumme ist nur, dass die klanglichen Vorteile im Vergleich zu 88,1 oder 96 kHz in der Regel minimal bis unhörbar ausfallen. Nur mit einer feinen Abhöre (in der Regel Studiomonitore über 1.500 Euro pro Paar) und frisch gespitzten Ohren in guter Raumakustik könnten sie der Rede Wert sein. Andernfalls sind die Vorteile praktisch nicht-existent, um nicht zu sagen vollkommen für den Arsch.
Faustregel: Eine Sample-Rate jenseits von 96 kHz sollte bei der Kaufentscheidung zwischen zwei ansonsten sehr vergleichbaren Geräten nie den Ausschlag geben.
Monsterbass mit winzigen Lautsprechern!
Eine weit verbreitete Unsitte bei Lautsprechern: Nur zu gerne wird der Übertragungsbereich (aka Frequenzbereich, fälschlicherweise auch »Frequenzgang«) ohne eine Dezibel-Toleranz angegeben. »30 Hz – 25 kHz« und dergleichen klingt einfach zu beeindruckend bei Lautsprechern mit kleinen Tieftönern.
Und wieder klingelt mein Bullshit-Detektor. Abgesehen davon, dass im hohen Frequenzbereich spätestens alles über 20 kHz nur für Fledermäuse interessant ist, solltest Du einem Punkt deine Aufmerksamkeit schenken: Fehlt eine Dezibel-Angabe, liegt der Verdacht nahe, dass die 30 Hertz deutlich leiser wiedergegeben als erwartet.
Bei einer solchen Unterschlagung liegt der Messpunkt oft bei bei -6 dB, wenn nicht sogar -10 oder -12 dB. Schon Ersteres würde bedeuten, dass der Bass nur halb so laut wäre wie der Durchschnitt des gesamten dargestellten Spektrums.
Im Zweifel fragst Du die Hersteller/Vertriebe von Modellen auf deinem Wunschzettel nach einer Angabe, der eine Toleranz von ±3 dB zugrundeliegt.
Kultige Vintage-Ästhetik!
Neben technischen Daten und baulichen Eigenheiten, die Exzellenz vorgaukeln, gibt es dekadente Spielereien wie die künstliche Alterung von Gitarren. Wer sein Konto plündern kann, um sich ein Relic-Modell zu kaufen, ist um seinen Wohlstand zu beneiden. Wie wäre es stattdessen, die Gitarre lange und intensiv zu spielen, damit sie irgendwann von echten, ehrlichen Spuren der Alterung geziert wird?
Nun, das artet jetzt eher in Publikumsschelte aus, als dass die Hersteller für diese Praktik gerügt werden könnten. Die Nachfrage regelt das Angebot. Allerdings sollte man zumindest vorsichtig sein, wenn bei Aging, Relic & Co. nennenswerte klangliche Verbesserungen (und nicht einfach nur ein subtil anderer Klangcharakter) versprochen werden.
Schlussgedanken
Wie geschildert, muss man nicht ins Reich der Audioesoterik abdriften, um vermeintlich verkaufsfördernden Nonsens zu entdecken. Obgleich man bei Heim-Audio-Equipment noch stärker auf die Unbedarftheit einer gut betuchten Käuferschaft setzt, gibt es auch im Bereich der Pro-Audio- und (Heim-)Studiotechnik viel Blendwerk.
Vielleicht hast Du ja schon ähnliche Erfahrungen gemacht. Welche zwiespältigen Spezifikationen, nebulösen Features und Hokuspokus habe ich hier vergessen?