Bernie Grundman Interview Teil 2
Analog vs. Digital Mastering
Von Friedemann Tischmeyer
Analog vs. Digital Mastering – Bernie Grundman Interview (Teil 2)
Die Wahl des CD-Rohlings spielt beispielsweise eine enorme Rolle für die Qualität der Reproduktion.
Ich frage nach der wissenschaftlichen Begründung für den unterschiedlichen Klang von Rohlingen und Kopien von Digitaldaten. Lässt sich der unterschiedliche Klang in Parametern widerspiegeln? Gibt es Parameter, die unser Ohr erfassen kann, der Messtechnik aber nicht bekannt oder nicht erfassbar sind? Leider hat Bernie hierfür keine Antworten parat. Er vermutet, dass die Unterschiede so subtil sind, dass sie messtechnisch nicht erfassbar sind.
“There is some kind of unknown factor here” – “da ist ein unbekannter Faktor im Spiel.”
Bernie erzählt weiter: “Wir haben vier identische Audioworkstations (von Cube-Tec) miteinander verglichen und alle erzeugen unterschiedlich klingende Master.”
“Everything makes a difference!” – “Jedes Detail macht einen Unterschied aus. Wir haben im Presswerk 12 Monoliner (CD-Pressen) miteinander verglichen und vermeintlich identische CDs angepresst und Vergleichstests durchgeführt. Alle klangen unterschiedlich. Zwei Monoliner klangen am Besten und die wurden dann für die CD-Pressung verwendet.”
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“Oft glaube ich nicht, was mir Menschen aus der Audioindustrie erzählen. Ich gehe nur nach meinen Ohren, weil viele Dinge, die auf den Produkt-Spezifikationen großartig aussehen, in der Praxis nicht so großartig klingen.”
Wie gehst Du mit dem Konkurrenzkampf um das lauteste Master um?
“We have to deal with that, because the clients want that”! – „Wir haben uns damit zu arrangieren, weil die Kunden es so wünschen.” Wenn Bernie es geschafft hat, einen Kunden bei der Masteringsession davon zu überzeugen, dass die Aufnahme bereits fantastisch klingt und man die Lautheit kaum anheben sollte, dann ist es fast immer so, dass die Kunden am nächsten Tag entsetzt anrufen, weil sie es mit anderem Material verglichen haben, das lauter gemastert ist und bestehen darauf, es ebenso laut haben zu wollen. “Wir versuchen das Beste aus beiden Welten zusammenzubringen und eine große Lautheit bei bestmöglicher Erhaltung der wahrgenommenen Dynamik zu erzeugen”.
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Bernie bestätigt meine Beobachtung, dass analoges Musik Equipment auf Mischungen mit zu hoher Dichte oft unvorteilhaft reagiert und die Klangqualität manchmal verschlechtert. Er begründet das damit, dass insbesondere analoge Kompressoren zu langsam für bereits überkomprimiertes Material sind und dadurch viele Transienten verloren gehen. Hier höre ich durch, dass für diesen Teil der Arbeit doch gerne auf die Bearbeitung in der digitalen Domain zurückgegriffen wird.
Auf Nachfrage bringe ich in Erfahrung, dass hierfür eine Einzelanfertigung eines Kompressors aus dem Hause Lavry zum Einsatz kommt. Davor wird manchmal der Loudness Maximizer aus dem Audio Cube verwendet (Weiterentwicklung des VST-Plugins ME Loudness Maximizers von Steinberg, der schon lange nicht mehr erhältlich ist, jedoch noch gute Dienste leistet).
Bernie Grundman selbst benutzt am liebsten eine Kombination aus analoger Kompression und Limiting mit einem anschließenden Brickwall-Limiter auf digitaler Ebene (Lavry). Wenn Material besonders sensibel in Bezug auf harmonische Verzerrung ist, verwendet er alle drei Stufen (analoge Kompression, Loudness Maximizer und Lavry).
Zurück zum Thema “Lautheit”.
Bernie Grundman: “Wir versuchen mit unserem System einen so sauberen Sound zu fahren, dass trotz hoher Lautheit dieselbe Wahrnehmung an Musikalität und Dynamik übrig bleibt, damit die Ergebnisse in Bezug auf die Lautheit den Marktwünschen entsprechen. Je sauberer das verwendete System arbeitet, desto höher ist die Integrität der einzelnen Instrumente im Endresultat. Verglichen mit vielen anderen Masterings am Markt haben wir eine gewisse Art an Detailtreue und Natürlichkeit im Topendbereich, auch wenn die Master sehr laut sind. “
“Am Ende wären die Master natürlich schöner, wenn sie nicht so stark komprimiert wären – aber diesen Purismus können wir uns nicht erlauben. Wir wären aus dem Geschäft. Unglücklicherweise bedarf jede Art von Geschäft eine gewisse Kompromissbereitschaft. Wir vermeiden jedoch größere Kompromisse zu machen als gerade nötig.”
“Neuerdings haben wir einige wenige Kunden, bei denen tatsächlich eine neue Tendenz zu mehr Dynamik auszumachen ist. Ich finde das sehr mutig und wünsche mir, dass sich mehr Produzenten dazu trauen würden, dynamischere CDs auf den Markt zu bringen. Auf der anderen Seite kommen Hip-Hop Künstler, denen wir genau zeigen, wo die kritische Grenze zwischen einem cleanen Master und einem verzerrten Master liegt und meistens wollen sie das verzerrte Master. Gerade bei so bassreicher Musik ist es schwer, eine große Lautheit zu erzeugen, ohne Verzerrungsartefakte zu erhalten.”
Mit welchem Headroom fahrt ihr die Brickwall-Limiter, respektive die CD-Master?
Bernie Grundman: “Minus 0,1 dB/FS (SPPM)”
Wie stellst Du Dich auf die sehr unterschiedlichen Musik Genres ein, die Du zu bearbeiten hast?
Bernie Grundman:
“In meinen Seminaren betone ich, wie wichtig Unvoreingenommenheit für einen Mastering-Engineer ist. Wenn man an einen neuen Auftrag herangeht, sollte man völlig offen sein und nicht sagen, das ist Rock und daher muss es so und so klingen. Unvoreingenommenheit ist sehr wichtig.”
Unvoreingenommenheit ist sehr wichtig!
Hier ist noch eine abschließende Information für Vinyl-Fetischisten: Die Bernie Grundman Studios verfügen über zwei Vinyl-Schneidemaschinen, die rund um die Uhr ausgebucht sind. Bernie Grundman: “Vinyl-Mastering ist nach wie vor ein wichtiges Business für uns, das sehr gefragt ist.”
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Resümee zum Interview mit Mastering-Legende Bernie Grundman
Eine journalistische Tugend besagt, dass Journalismus so objektiv wie möglich sein soll und die persönliche Meinung des Autoren untergeordnet ist. Zum Glück bin ich Engineer und kein Journalist. Daher erlaube ich mir einige Kommentare zu Bernie Grundman´s Äußerungen:
Zuerst fallen die Gemeinsamkeiten mit einem guten „Mastering in the Box“-Studio auf: Ein importiertes Audiofile, das über gute Wandler auf eine gute Abhöre in einem ebenso gut klingenden Raum abgespielt wird. Das entspricht sicherlich in gleichem Maße dem Anspruch, als erstes das angelieferte Material so zu reproduzieren, wie es ist.
Auf digitaler Ebene sind dabei eher weniger potenziell manipulierende Faktoren zu erwarten als auf analoger Ebene. Wie Sie im Buch in meinen Vorschlägen für eine optimale Arbeitsweise lesen können, ähnelt sich auch die Herangehensweise bei der Kompression (und ebenso beim EQing). Behutsames Vorgehen in mehreren Stufen führt zu einem Ziel mit geringst möglichem Schaden (Lautheit versus Musikalität und Dynamik).
Auch wenn Bernie Grundman´s Präferenzen traditionell bedingt in der analogen Bearbeitung liegen, lässt sich durchhören, dass auch er auf die gleichen Mittel wie das „Mastering in the Box“-Studio zurückgreifen muss, um den Marktwünschen nach möglichst großer Lautheit gerecht zu werden. Analoge Technik alleine bringt den Mastering-Engineer hier nicht an das Ziel und Bernie Grundman nutzt eine Symbiose aus analoger und digitaler Welt.
Die Sorgfalt und Unvoreingenommenheit sind ebenfalls Tugenden, die auch dem „digitalen“ Mastering-Engineer zu eigen sein sollten.
Einen wichtigen Tipp sollten wir ebenfalls auf das “Mastering in the Box” übertragen: das gelegentliche konsequente Vergleichen unterschiedlicher Geräte (Plugins) gleicher Gerätegattung im Hinblick auf die klanglichen Qualitäten. Das erlaubt die Auswahl eines abgegrenzten Fundus an Geräten, von denen wir genau wissen, was wir zu erwarten haben und was nicht.
Wissen Sie genau, welcher Ihrer Brickwall-Limiter welche Klangeigenschaften besitzt und die Transienten ab wie viel dB Absenkung verfälscht oder vielleicht doch Overs durchlässt? Im Plugin-Kapitel finden Sie Anregungen zum Austesten Ihrer Plugins.
Bei allem Respekt vor Bernie Grundman´s Lebenswerk und Erfahrungsschatz möchte ich mich auch kritisch äußern: Bernies “Everything makes a difference” Philosophie hat auch eine verunsichernde Komponente, die ich persönlich in die Schublade “Hollywood Entertainment mit Marketing Sideeffekt” stecke. Ich fange jedenfalls nicht an, fünf Workstations zu bauen, um nur auf der besten zu arbeiten und ich werde auch keine CD auf zwölf unterschiedlichen Fertigungsstraßen herstellen lassen, um nur noch auf der besten Maschine vervielfältigen zu lassen.
Ich lege Wert darauf, das Mastering zu entmystifizieren und jedem, der genug handwerkliches Wissen, Erfahrung und Geschmack mitbringt, gutes Mastering zu ermöglichen. Seien Sie kritisch, wenn Sie tatsächlich feststellen, dass in einer Situation eine digitale Kopie vielleicht anders klingt und machen Sie sich dann auf die Fehlersuche. Seien Sie jedoch nicht so verunsichert, dass Sie bei jeder digitalen Generation nach Verlusten suchen. Das wäre das unwahrscheinliche Ende der digitalen Audio-Welt.
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Vom Autor dieses Artikels sind u.a. die DVD-Serien „Internal Mixing“ und „Audio Mastering“ erschienen, die auf www.AudioTechKnowledge.com erhältlich sind. Friedemann Tischmeyer hat ebenfalls an der umfangreichen DVD-Trilogie „Art & Science of Sound Recording“ von Alan Parsons mitgewirkt. Das derzeit vergriffene Mastering Buch wird ab Herbst 2011 als stark überarbeitete und erweiterte Ausgabe in deutscher Sprache erscheinen.