Bernie Grundman Interview
Analog vs. Digital Mastering

Von Friedemann Tischmeyer am 03. März 2025
Bernie Grundmann Interview „Analog vs. Digital Mastering“
Friedemann Tischmeyer im kommentierten Gespräch mit der Analog-Mastering-Legende Bernie Grundman
Auf der Suche nach mehr Input zur möglichst objektiven Darstellung interessanter Fakten rund um das Thema Mastering traf ich in Hollywood auf die Masteringlegende Bernie Grundman. Gerüstet mit einer langen Liste an Fragen ging ich in das mit 60 Minuten angesetzte Interview in einem der vier identischen Mastering-Suiten seines imposanten Masteringpalastes. Nach wenigen Minuten war ein höchst spannendes und überaus kontroverses Gespräch entstanden, dass über zwei Stunden dauerte und mir keine Gelegenheit gab, auch nur ein einziges Mal auf meinen Spickzettel zu schauen.
Kontrovers, weil ich als Vertreter der „Mastering in the Box“-Fraktion (Anm. d. Red.: Mastering im Computer) dem Vater des „pure analog Masterings“ gegenüber saß. Das und weil ich stets bemüht bin, logische Antworten und Herangehensweisen herauszuschälen und das Mastering als ein Handwerk wie jedes andere zu entmystifizieren. Im Gegensatz dazu liebt Bernie Grundman die Mythen rund um´s Mastering.
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Da das Gespräch eine Vielzahl Themen aus meiner bald erscheinenden Neuauflage des Buches „The Audio Mastering Workbook“ aus einer völlig anderen Sichtweise beleuchtet und Bernie Grundman eine ausgesprochen interessante Persönlichkeit ist, habe ich das Interview fast vollständig in die zweite Auflage aufgenommen.
Hier auf delamar nun die exklusive Vorabveröffentlichung.
Vorab zur Person Bernie Grundman:
Bernie Grundman ist Enkelkind eines Berliner Auswanderers und einer norwegischen Großmutter in dritter Generation. Das zweite „n“ von Grundman sei irgendwo auf dem Weg nach Amerika verloren gegangen, erzählt Bernie, bevor wir uns den Mastering-Themen widmen. Vor der Gründung der „Bernie Grundman Mastering“ Studios – 1983 in Hollywood – hatte er bereits 15 Jahre als Chef Mastering Engineer für A&M Records in Los Angeles gearbeitet. Das sind satte 40 Jahre Erfahrung.
Vor seiner Engineer-Karriere hat er von 1966 bis 1968 bei dem Jazzlabel „Contemporary Records“ seinen Einstieg in das Musikgeschäft in Los Angeles gemacht.
Da die Referenzliste dieses Interview sprengen würde, sei hier der Hinweis gegeben auf u.a. 37 Grammy-nominierte Produktionen, die von ihm und seiner Studiocrew (Brian „Big Bass“ Gardner, Chris Bellman, Patricia FourStar Sullivan und Arnie Acosta) 2005 gemastert wurden. Bernie Grundman gehört also zu den Männern der “ersten Stunde” im Bereich des CD-Masterings und steht wie kein anderer für analogen Highend Purismus.
Mastering Budget
Um sich von seiner puristischen Philosophie nicht verunsichern zu lassen (wenn man weiterhin vor hat, vornehmlich auf digitaler Ebene zu mastern) ist es sinnvoll, einen Blick auf das Kundenumfeld und die angesetzten Budgets zu werfen. Der Einstiegspreis für ein Bernie Grundman Master beträgt US$ 2800,- sofern das Mastering an einem Arbeitstag erledigt ist. Standard-Budgets liegen zwischen 10 und 30 tsd. USD.
“Das kommt schon häufig vor”. Rekordhalter ist Mikel Jackson´s Thriller mit einem Budget von rund 200.000 USD. “Da war ich wochenlang mit beschäftigt und bin auf Wunsch des Kunden zwischendurch nach New York geflogen, um bei den Remixes dabei zu sein, bevor die Titel erneut gemastert wurden. Solche Budgets werden von den Plattenfirmen heute kaum noch bereitgestellt”.
Infolge der Budgets ist es anzunehmen, dass recht selten Home-Produktionen den Weg in die B.G. Mastering Studios finden und das Niveau der angelieferten Mixe durch die Bank extrem hoch ist. So lässt sich Bernies Aussage erklären, dass jede auch noch so geringe Manipulation eines angelieferten Masters eine potenzielle Klangverschlechterung ist.
Aus der Sicht des europäischen Mastering-Alltags, zu dessen täglich Brot ebenso die Bearbeitung von Budget- und Independent-Produktionen gehört und auch Major-Releases gelegentlich Optimierungspotenzial aufweisen, haben angelieferte Mischungen im Durchschnitt sicherlich ein höheres Verbesserungspotenzial, so dass dieser puristische Ansatz nur auf Topproduktionen zutrifft, für die nur noch das PQ-Editing vorzunehmen ist und sich jeder klangliche Eingriff verbietet.
Das leider immer noch anhaltende Bedürfnis zahlreicher Kunden ein möglichst lautes Master zu erhalten widerspricht dieser Philosophie auf gewisse Weise.
Bernie Grundman Mastering Setup
Alle vier Hauptstudios im ebenerdigen, speziell für diesen Zweck entworfenen Gebäude sind Raum-in-Raum ausgelegt und akustisch sowie technisch identisch ausgestattet. Das gilt ebenfalls für die 1998 eröffnete Dependance in Tokyo.
Das Bernie Grundman Studio ist das einzige (mir bekannte) Studio der Welt, welches zwei Top-Service-Techniker in Vollzeit beschäftigt, die unablässig auf der Suche nach technischen und klanglichen Verbesserungsmöglichkeiten des Equipments sind. In einer großzügigen Werkstatt ist nahezu alles an elektrotechnischen Mess- und Arbeitsgeräten zu finden. Bernie dazu: “Es gibt kein auch noch so teures Serien-Gerät auf der Welt, welches unsere Techniker nicht noch weiter verbessern könnten”.
Im Masteringprozess wird der angelieferte Mix zuerst auf eine – natürlich mit eigener Elektronik und eigenen Tonköpfen optimierten – Studer-1-Zoll-Bandmaschine überspielt, die als Zuspieler für die analoge Bearbeitungskette dient. Die Bearbeitungskette besteht aus einer Bernie Grundman Mastering Konsole, die unterschiedliche EQs und einen Kompressor/Limiter auf höchstem analogem Niveau bietet und von den hauseigenen Technikern gebaut wird.
Über Details schweigt sich Bernie aus und die Oberfläche ist durch kreatives Chaos in Form von Notizen und Masteringprotokollen verdeckt. Soviel verrät er jedoch: Die Konsole unterscheidet sich von allem, was auf dem Markt ist und sie ist intern vollständig asymmetrisch verkabelt (asymmetrische Verkabelung setzt sich in Masteringstudios immer mehr durch, da die kleinen Setups wenig brummschleifenanfällig sind, nur kurzer Kabelwege bedürfen und man durch den Verzicht auf Symmetrierungsstufen (Transformer) einen besseren und unverfälschteren Klang erhält. Das setzt eine durchdachte Studiostromversorgung und ein professionelles Setup voraus, da asymmetrische Verkabelungen im Vergleich zu symmetrischen Verkabelungen sehr störungsanfällig sind.
Weiter im Signalweg geht es über verbesserte Lavry AD-Wandler (mit speziellen Line-Amps und externen linearen Netzteilen umgerüstet) in eine 64-bit Audio-Cube Workstation, deren Audioediting auf einer 64-bit-fähigen Wavelab-Version basiert. Laut Bernie klingt diese DAW am Besten.
Es wurden alle gängigen Systeme von Sonic bis Sadie miteinander verglichen. Sie ist selbstverständlich customized, wofür die B.G. Studios eine Ausnahmegenehmigung des deutschen Herstellers Cube-Tec erhalten haben. Meistens wird auf digitaler Ebene kaum noch etwas manipuliert und nach dem PQ-Editing (Marker setzen) wird entweder ein DDP-Image erzeugt oder lieber ein Low-Speed-CD-R-Master auf einen ganz speziellen High-End-Rohling gebrannt.
Je nach Arbeitsweise des Presswerks ist das eine oder andere besser als Mastermedium geeignet. Einige Presswerke können das Glasmaster direkt von der Master-CD herstellen. Bernie Grundman: “Wir haben herausgefunden, dass es das Beste ist, wenn das Glasmaster direkt von unserer CD-R gezogen wird, weil ein DDP bereits eine andere digitale Generation auf dem Weg zum Endprodukt darstellt. Man sollte sich immer mit dem Presswerk abstimmen und jeweils das Medium wählen, was den direktesten Produktionsprozess gewährt.”
Mastering-Philosophie von Bernie Grundman
Hier einige interessante Auszüge und Gedanken aus Bernies Masteringphilosophie:
Laut Bernie kann ein digitales Medium gut als Speichermedium geeignet sein. “Jede Manipulation hingegen, sei es nur die Pegeländerung um ein 10tel dB, führt auch bei 64-Bit-Auflösung zu einer klanglichen Verschlechterung. Das kann man hören.”
Ebenfalls würde jede digitale Kopie, gleich ob auf HD oder CD-/DVD-ROM, bereits in der ersten Generation zu klanglichen Verschlechterungen führen; ganz zu Schweigen von Kopien der dritten oder vierten Generation. “Hier kommt Jitter ins Spiel.“ (* siehe Kommentar am Ende dieses Interviews.)
“Dieselben Audiofiles klingen anders, wenn sie über externe Laufwerke abgespielt werden im Vergleich zu rechnerinternen Harddisks.”
Bernies Ansatz ist es, zu Beginn einer Masteringsession den angelieferten Mix durch das Masteringsystem und die Studiolautsprecher so zu reproduzieren, dass es der Intention des angelieferten Materials entspricht oder möglichst nahe kommt. Jedes Plugin oder insertierte analoge Gerät könne (selbst auf Bypass geschaltet) das Signal so manipulieren, dass das Gehörte nicht der Intention des angelieferten Mix entsprechen würde.
“We want to start out with as close as possible to what the customer brought in” –“Wir möchten mit dem Klang anfangen zu arbeiten, der dem angelieferten Mix am dichtesten kommt. Dann manipulieren wir gegebenenfalls das Signal.”
Bernie investiert mit seinem Team immer wieder viel Zeit in systematische Vergleichstests von Geräten, DAWs, Speichermedien und Kabeln, um stets die bestmögliche Signalkette vorzuhalten. Er sieht es als Pflicht eines Engineers an, sich mit bestem Musik Equipment zu umgeben, um die künstlerische Intention und Seele einer Aufnahme nicht durch mangelhafte Technik negativ zu manipulieren. Gerade bei digitalen AES-Verbindungen ist beste Kabelqualität besonders wichtig, da das Clocksignal mit dem Audiosignal interferieren kann und so zu Klangeinbußen im Signalweg führt.
* In dem später im Buch folgenden Interview mit Matthias Carstens (Gründer und Chefentwickler von RME) zum Thema Jitter erklärt Herr Carstens, dass Jitter weniger zu schleichenden Klangverfärbungen führt, sondern zu offensichtlichen Artefakten, ist erstmal ein bestimmter Grenzwert überschritten. Somit ist Jitter vermutlich ein ungeeigneter Schuldiger für die unterschiedlichen Klangergebnisse vermeintlich gleicher Digitaldaten.
Bleibt also ein Hauch von Voodoo, solange sich nicht ein Forschungsteam an die Entdeckungsarbeit der Klangunterschiede identischer Audiodateien macht, die bisher messtechnisch nicht zu verifizieren sind. Mir ist aufgefallen, dass das Verhältnis zwischen Audio-Fakultäten und tatsächlicher Forschung im Vergleich zu anderen Fakultäten extrem schlecht ist. Ich fände es wünschenswert, wenn sich diese Fakultäten intensiver und mit einem wissenschaftlichen Anspruch an die Erforschung derartiger Phänomene machen.
Die Wahl des CD-Rohlings spielt beispielsweise eine enorme Rolle für die Qualität der Reproduktion.
Ich frage nach der wissenschaftlichen Begründung für den unterschiedlichen Klang von Rohlingen und Kopien von Digitaldaten. Lässt sich der unterschiedliche Klang in Parametern widerspiegeln? Gibt es Parameter, die unser Ohr erfassen kann, der Messtechnik aber nicht bekannt oder nicht erfassbar sind? Leider hat Bernie hierfür keine Antworten parat. Er vermutet, dass die Unterschiede so subtil sind, dass sie messtechnisch nicht erfassbar sind.
“There is some kind of unknown factor here” – “da ist ein unbekannter Faktor im Spiel.”
Bernie erzählt weiter: “Wir haben vier identische Audioworkstations (von Cube-Tec) miteinander verglichen und alle erzeugen unterschiedlich klingende Master.”
“Everything makes a difference!” – “Jedes Detail macht einen Unterschied aus. Wir haben im Presswerk 12 Monoliner (CD-Pressen) miteinander verglichen und vermeintlich identische CDs angepresst und Vergleichstests durchgeführt. Alle klangen unterschiedlich. Zwei Monoliner klangen am Besten und die wurden dann für die CD-Pressung verwendet.”
“Oft glaube ich nicht, was mir Menschen aus der Audioindustrie erzählen. Ich gehe nur nach meinen Ohren, weil viele Dinge, die auf den Produkt-Spezifikationen großartig aussehen, in der Praxis nicht so großartig klingen.”
Wie gehst Du mit dem Konkurrenzkampf um das lauteste Master um?
“We have to deal with that, because the clients want that”! – „Wir haben uns damit zu arrangieren, weil die Kunden es so wünschen.” Wenn Bernie es geschafft hat, einen Kunden bei der Masteringsession davon zu überzeugen, dass die Aufnahme bereits fantastisch klingt und man die Lautheit kaum anheben sollte, dann ist es fast immer so, dass die Kunden am nächsten Tag entsetzt anrufen, weil sie es mit anderem Material verglichen haben, das lauter gemastert ist und bestehen darauf, es ebenso laut haben zu wollen. “Wir versuchen das Beste aus beiden Welten zusammenzubringen und eine große Lautheit bei bestmöglicher Erhaltung der wahrgenommenen Dynamik zu erzeugen”.
Bernie bestätigt meine Beobachtung, dass analoges Musik Equipment auf Mischungen mit zu hoher Dichte oft unvorteilhaft reagiert und die Klangqualität manchmal verschlechtert. Er begründet das damit, dass insbesondere analoge Kompressoren zu langsam für bereits überkomprimiertes Material sind und dadurch viele Transienten verloren gehen. Hier höre ich durch, dass für diesen Teil der Arbeit doch gerne auf die Bearbeitung in der digitalen Domain zurückgegriffen wird.
Auf Nachfrage bringe ich in Erfahrung, dass hierfür eine Einzelanfertigung eines Kompressors aus dem Hause Lavry zum Einsatz kommt. Davor wird manchmal der Loudness Maximizer aus dem Audio Cube verwendet (Weiterentwicklung des VST-Plugins ME Loudness Maximizers von Steinberg, der schon lange nicht mehr erhältlich ist, jedoch noch gute Dienste leistet).
Bernie Grundman selbst benutzt am liebsten eine Kombination aus analoger Kompression und Limiting mit einem anschließenden Brickwall-Limiter auf digitaler Ebene (Lavry). Wenn Material besonders sensibel in Bezug auf harmonische Verzerrung ist, verwendet er alle drei Stufen (analoge Kompression, Loudness Maximizer und Lavry).
Zurück zum Thema “Lautheit”.
Bernie Grundman: “Wir versuchen mit unserem System einen so sauberen Sound zu fahren, dass trotz hoher Lautheit dieselbe Wahrnehmung an Musikalität und Dynamik übrig bleibt, damit die Ergebnisse in Bezug auf die Lautheit den Marktwünschen entsprechen. Je sauberer das verwendete System arbeitet, desto höher ist die Integrität der einzelnen Instrumente im Endresultat. Verglichen mit vielen anderen Masterings am Markt haben wir eine gewisse Art an Detailtreue und Natürlichkeit im Topendbereich, auch wenn die Master sehr laut sind. “
“Am Ende wären die Master natürlich schöner, wenn sie nicht so stark komprimiert wären – aber diesen Purismus können wir uns nicht erlauben. Wir wären aus dem Geschäft. Unglücklicherweise bedarf jede Art von Geschäft eine gewisse Kompromissbereitschaft. Wir vermeiden jedoch größere Kompromisse zu machen als gerade nötig.”
“Neuerdings haben wir einige wenige Kunden, bei denen tatsächlich eine neue Tendenz zu mehr Dynamik auszumachen ist. Ich finde das sehr mutig und wünsche mir, dass sich mehr Produzenten dazu trauen würden, dynamischere CDs auf den Markt zu bringen. Auf der anderen Seite kommen Hip-Hop Künstler, denen wir genau zeigen, wo die kritische Grenze zwischen einem cleanen Master und einem verzerrten Master liegt und meistens wollen sie das verzerrte Master. Gerade bei so bassreicher Musik ist es schwer, eine große Lautheit zu erzeugen, ohne Verzerrungsartefakte zu erhalten.”
Mit welchem Headroom fahrt ihr die Brickwall-Limiter, respektive die CD-Master?
Bernie Grundman: “Minus 0,1 dB/FS (SPPM)”
Wie stellst Du Dich auf die sehr unterschiedlichen Musik Genres ein, die Du zu bearbeiten hast?
Bernie Grundman:
“In meinen Seminaren betone ich, wie wichtig Unvoreingenommenheit für einen Mastering-Engineer ist. Wenn man an einen neuen Auftrag herangeht, sollte man völlig offen sein und nicht sagen, das ist Rock und daher muss es so und so klingen. Unvoreingenommenheit ist sehr wichtig.”
Unvoreingenommenheit ist sehr wichtig!
Hier ist noch eine abschließende Information für Vinyl-Fetischisten: Die Bernie Grundman Studios verfügen über zwei Vinyl-Schneidemaschinen, die rund um die Uhr ausgebucht sind. Bernie Grundman: “Vinyl-Mastering ist nach wie vor ein wichtiges Business für uns, das sehr gefragt ist.”
Resümee zum Interview mit Mastering-Legende Bernie Grundman
Eine journalistische Tugend besagt, dass Journalismus so objektiv wie möglich sein soll und die persönliche Meinung des Autoren untergeordnet ist. Zum Glück bin ich Engineer und kein Journalist. Daher erlaube ich mir einige Kommentare zu Bernie Grundman´s Äußerungen:
Zuerst fallen die Gemeinsamkeiten mit einem guten „Mastering in the Box“-Studio auf: Ein importiertes Audiofile, das über gute Wandler auf eine gute Abhöre in einem ebenso gut klingenden Raum abgespielt wird. Das entspricht sicherlich in gleichem Maße dem Anspruch, als erstes das angelieferte Material so zu reproduzieren, wie es ist.
Auf digitaler Ebene sind dabei eher weniger potenziell manipulierende Faktoren zu erwarten als auf analoger Ebene. Wie Sie im Buch in meinen Vorschlägen für eine optimale Arbeitsweise lesen können, ähnelt sich auch die Herangehensweise bei der Kompression (und ebenso beim EQing). Behutsames Vorgehen in mehreren Stufen führt zu einem Ziel mit geringst möglichem Schaden (Lautheit versus Musikalität und Dynamik).
Auch wenn Bernie Grundman´s Präferenzen traditionell bedingt in der analogen Bearbeitung liegen, lässt sich durchhören, dass auch er auf die gleichen Mittel wie das „Mastering in the Box“-Studio zurückgreifen muss, um den Marktwünschen nach möglichst großer Lautheit gerecht zu werden. Analoge Technik alleine bringt den Mastering-Engineer hier nicht an das Ziel und Bernie Grundman nutzt eine Symbiose aus analoger und digitaler Welt.
Die Sorgfalt und Unvoreingenommenheit sind ebenfalls Tugenden, die auch dem „digitalen“ Mastering-Engineer zu eigen sein sollten.
Einen wichtigen Tipp sollten wir ebenfalls auf das “Mastering in the Box” übertragen: das gelegentliche konsequente Vergleichen unterschiedlicher Geräte (Plugins) gleicher Gerätegattung im Hinblick auf die klanglichen Qualitäten. Das erlaubt die Auswahl eines abgegrenzten Fundus an Geräten, von denen wir genau wissen, was wir zu erwarten haben und was nicht.
Wissen Sie genau, welcher Ihrer Brickwall-Limiter welche Klangeigenschaften besitzt und die Transienten ab wie viel dB Absenkung verfälscht oder vielleicht doch Overs durchlässt? Im Plugin-Kapitel finden Sie Anregungen zum Austesten Ihrer Plugins.
Bei allem Respekt vor Bernie Grundman´s Lebenswerk und Erfahrungsschatz möchte ich mich auch kritisch äußern: Bernies “Everything makes a difference” Philosophie hat auch eine verunsichernde Komponente, die ich persönlich in die Schublade “Hollywood Entertainment mit Marketing Sideeffekt” stecke. Ich fange jedenfalls nicht an, fünf Workstations zu bauen, um nur auf der besten zu arbeiten und ich werde auch keine CD auf zwölf unterschiedlichen Fertigungsstraßen herstellen lassen, um nur noch auf der besten Maschine vervielfältigen zu lassen.
Ich lege Wert darauf, das Mastering zu entmystifizieren und jedem, der genug handwerkliches Wissen, Erfahrung und Geschmack mitbringt, gutes Mastering zu ermöglichen. Seien Sie kritisch, wenn Sie tatsächlich feststellen, dass in einer Situation eine digitale Kopie vielleicht anders klingt und machen Sie sich dann auf die Fehlersuche. Seien Sie jedoch nicht so verunsichert, dass Sie bei jeder digitalen Generation nach Verlusten suchen. Das wäre das unwahrscheinliche Ende der digitalen Audio-Welt.