Mastering
Analog vs. Digital – Bernie Grundman im Interview (Teil 1)
Von Friedemann Tischmeyer
Bernie Grundmann Interview „Analog vs. Digital Mastering“
Friedemann Tischmeyer im kommentierten Gespräch mit der Analog-Mastering-Legende Bernie Grundman
Auf der Suche nach mehr Input zur möglichst objektiven Darstellung interessanter Fakten rund um das Thema Mastering traf ich in Hollywood auf die Masteringlegende Bernie Grundman. Gerüstet mit einer langen Liste an Fragen ging ich in das mit 60 Minuten angesetzte Interview in einem der vier identischen Mastering-Suiten seines imposanten Masteringpalastes. Nach wenigen Minuten war ein höchst spannendes und überaus kontroverses Gespräch entstanden, dass über zwei Stunden dauerte und mir keine Gelegenheit gab, auch nur ein einziges Mal auf meinen Spickzettel zu schauen.
Kontrovers, weil ich als Vertreter der „Mastering in the Box“-Fraktion (Anm. d. Red.: Mastering im Computer) dem Vater des „pure analog Masterings“ gegenüber saß. Das und weil ich stets bemüht bin, logische Antworten und Herangehensweisen herauszuschälen und das Mastering als ein Handwerk wie jedes andere zu entmystifizieren. Im Gegensatz dazu liebt Bernie Grundman die Mythen rund um´s Mastering.
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Da das Gespräch eine Vielzahl Themen aus meiner bald erscheinenden Neuauflage des Buches „The Audio Mastering Workbook“ aus einer völlig anderen Sichtweise beleuchtet und Bernie Grundman eine ausgesprochen interessante Persönlichkeit ist, habe ich das Interview fast vollständig in die zweite Auflage aufgenommen.
Hier auf delamar nun die exklusive Vorabveröffentlichung.
Vorab zur Person Bernie Grundman:
Bernie Grundman ist Enkelkind eines Berliner Auswanderers und einer norwegischen Großmutter in dritter Generation. Das zweite „n“ von Grundman sei irgendwo auf dem Weg nach Amerika verloren gegangen, erzählt Bernie, bevor wir uns den Mastering-Themen widmen. Vor der Gründung der „Bernie Grundman Mastering“ Studios – 1983 in Hollywood – hatte er bereits 15 Jahre als Chef Mastering Engineer für A&M Records in Los Angeles gearbeitet. Das sind satte 40 Jahre Erfahrung.
Vor seiner Engineer-Karriere hat er von 1966 bis 1968 bei dem Jazzlabel „Contemporary Records“ seinen Einstieg in das Musikgeschäft in Los Angeles gemacht.
Da die Referenzliste dieses Interview sprengen würde, sei hier der Hinweis gegeben auf u.a. 37 Grammy-nominierte Produktionen, die von ihm und seiner Studiocrew (Brian „Big Bass“ Gardner, Chris Bellman, Patricia FourStar Sullivan und Arnie Acosta) 2005 gemastert wurden. Bernie Grundman gehört also zu den Männern der “ersten Stunde” im Bereich des CD-Masterings und steht wie kein anderer für analogen Highend Purismus.
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Mastering Budget
Um sich von seiner puristischen Philosophie nicht verunsichern zu lassen (wenn man weiterhin vor hat, vornehmlich auf digitaler Ebene zu mastern) ist es sinnvoll, einen Blick auf das Kundenumfeld und die angesetzten Budgets zu werfen. Der Einstiegspreis für ein Bernie Grundman Master beträgt US$ 2800,- sofern das Mastering an einem Arbeitstag erledigt ist. Standard-Budgets liegen zwischen 10 und 30 tsd. USD.
“Das kommt schon häufig vor”. Rekordhalter ist Mikel Jackson´s Thriller mit einem Budget von rund 200.000 USD. “Da war ich wochenlang mit beschäftigt und bin auf Wunsch des Kunden zwischendurch nach New York geflogen, um bei den Remixes dabei zu sein, bevor die Titel erneut gemastert wurden. Solche Budgets werden von den Plattenfirmen heute kaum noch bereitgestellt”.
Infolge der Budgets ist es anzunehmen, dass recht selten Home-Produktionen den Weg in die B.G. Mastering Studios finden und das Niveau der angelieferten Mixe durch die Bank extrem hoch ist. So lässt sich Bernies Aussage erklären, dass jede auch noch so geringe Manipulation eines angelieferten Masters eine potenzielle Klangverschlechterung ist.
Aus der Sicht des europäischen Mastering-Alltags, zu dessen täglich Brot ebenso die Bearbeitung von Budget- und Independent-Produktionen gehört und auch Major-Releases gelegentlich Optimierungspotenzial aufweisen, haben angelieferte Mischungen im Durchschnitt sicherlich ein höheres Verbesserungspotenzial, so dass dieser puristische Ansatz nur auf Topproduktionen zutrifft, für die nur noch das PQ-Editing vorzunehmen ist und sich jeder klangliche Eingriff verbietet.
Das leider immer noch anhaltende Bedürfnis zahlreicher Kunden ein möglichst lautes Master zu erhalten widerspricht dieser Philosophie auf gewisse Weise.
Bernie Grundman Mastering Setup
Alle vier Hauptstudios im ebenerdigen, speziell für diesen Zweck entworfenen Gebäude sind Raum-in-Raum ausgelegt und akustisch sowie technisch identisch ausgestattet. Das gilt ebenfalls für die 1998 eröffnete Dependance in Tokyo.
Das Bernie Grundman Studio ist das einzige (mir bekannte) Studio der Welt, welches zwei Top-Service-Techniker in Vollzeit beschäftigt, die unablässig auf der Suche nach technischen und klanglichen Verbesserungsmöglichkeiten des Equipments sind. In einer großzügigen Werkstatt ist nahezu alles an elektrotechnischen Mess- und Arbeitsgeräten zu finden. Bernie dazu: “Es gibt kein auch noch so teures Serien-Gerät auf der Welt, welches unsere Techniker nicht noch weiter verbessern könnten”.
Im Masteringprozess wird der angelieferte Mix zuerst auf eine – natürlich mit eigener Elektronik und eigenen Tonköpfen optimierten – Studer-1-Zoll-Bandmaschine überspielt, die als Zuspieler für die analoge Bearbeitungskette dient. Die Bearbeitungskette besteht aus einer Bernie Grundman Mastering Konsole, die unterschiedliche EQs und einen Kompressor/Limiter auf höchstem analogem Niveau bietet und von den hauseigenen Technikern gebaut wird.
Über Details schweigt sich Bernie aus und die Oberfläche ist durch kreatives Chaos in Form von Notizen und Masteringprotokollen verdeckt. Soviel verrät er jedoch: Die Konsole unterscheidet sich von allem, was auf dem Markt ist und sie ist intern vollständig asymmetrisch verkabelt (asymmetrische Verkabelung setzt sich in Masteringstudios immer mehr durch, da die kleinen Setups wenig brummschleifenanfällig sind, nur kurzer Kabelwege bedürfen und man durch den Verzicht auf Symmetrierungsstufen (Transformer) einen besseren und unverfälschteren Klang erhält. Das setzt eine durchdachte Studiostromversorgung und ein professionelles Setup voraus, da asymmetrische Verkabelungen im Vergleich zu symmetrischen Verkabelungen sehr störungsanfällig sind.
Weiter im Signalweg geht es über verbesserte Lavry AD-Wandler (mit speziellen Line-Amps und externen linearen Netzteilen umgerüstet) in eine 64-bit Audio-Cube Workstation, deren Audioediting auf einer 64-bit-fähigen Wavelab-Version basiert. Laut Bernie klingt diese DAW am Besten.
Es wurden alle gängigen Systeme von Sonic bis Sadie miteinander verglichen. Sie ist selbstverständlich customized, wofür die B.G. Studios eine Ausnahmegenehmigung des deutschen Herstellers Cube-Tec erhalten haben. Meistens wird auf digitaler Ebene kaum noch etwas manipuliert und nach dem PQ-Editing (Marker setzen) wird entweder ein DDP-Image erzeugt oder lieber ein Low-Speed-CD-R-Master auf einen ganz speziellen High-End-Rohling gebrannt.
Je nach Arbeitsweise des Presswerks ist das eine oder andere besser als Mastermedium geeignet. Einige Presswerke können das Glasmaster direkt von der Master-CD herstellen. Bernie Grundman: “Wir haben herausgefunden, dass es das Beste ist, wenn das Glasmaster direkt von unserer CD-R gezogen wird, weil ein DDP bereits eine andere digitale Generation auf dem Weg zum Endprodukt darstellt. Man sollte sich immer mit dem Presswerk abstimmen und jeweils das Medium wählen, was den direktesten Produktionsprozess gewährt.”
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Mastering-Philosophie von Bernie Grundman
Hier einige interessante Auszüge und Gedanken aus Bernies Masteringphilosophie:
Laut Bernie kann ein digitales Medium gut als Speichermedium geeignet sein. “Jede Manipulation hingegen, sei es nur die Pegeländerung um ein 10tel dB, führt auch bei 64-Bit-Auflösung zu einer klanglichen Verschlechterung. Das kann man hören.”
Ebenfalls würde jede digitale Kopie, gleich ob auf HD oder CD-/DVD-ROM, bereits in der ersten Generation zu klanglichen Verschlechterungen führen; ganz zu Schweigen von Kopien der dritten oder vierten Generation. “Hier kommt Jitter ins Spiel.“ (* siehe Kommentar am Ende dieses Interviews.)
“Dieselben Audiofiles klingen anders, wenn sie über externe Laufwerke abgespielt werden im Vergleich zu rechnerinternen Harddisks.”
Bernies Ansatz ist es, zu Beginn einer Masteringsession den angelieferten Mix durch das Masteringsystem und die Studiolautsprecher so zu reproduzieren, dass es der Intention des angelieferten Materials entspricht oder möglichst nahe kommt. Jedes Plugin oder insertierte analoge Gerät könne (selbst auf Bypass geschaltet) das Signal so manipulieren, dass das Gehörte nicht der Intention des angelieferten Mix entsprechen würde.
“We want to start out with as close as possible to what the customer brought in” –“Wir möchten mit dem Klang anfangen zu arbeiten, der dem angelieferten Mix am dichtesten kommt. Dann manipulieren wir gegebenenfalls das Signal.”
Bernie investiert mit seinem Team immer wieder viel Zeit in systematische Vergleichstests von Geräten, DAWs, Speichermedien und Kabeln, um stets die bestmögliche Signalkette vorzuhalten. Er sieht es als Pflicht eines Engineers an, sich mit bestem Musik Equipment zu umgeben, um die künstlerische Intention und Seele einer Aufnahme nicht durch mangelhafte Technik negativ zu manipulieren. Gerade bei digitalen AES-Verbindungen ist beste Kabelqualität besonders wichtig, da das Clocksignal mit dem Audiosignal interferieren kann und so zu Klangeinbußen im Signalweg führt.
Friedemann Tischmeyer
* In dem später im Buch folgenden Interview mit Matthias Carstens (Gründer und Chefentwickler von RME) zum Thema Jitter erklärt Herr Carstens, dass Jitter weniger zu schleichenden Klangverfärbungen führt, sondern zu offensichtlichen Artefakten, ist erstmal ein bestimmter Grenzwert überschritten. Somit ist Jitter vermutlich ein ungeeigneter Schuldiger für die unterschiedlichen Klangergebnisse vermeintlich gleicher Digitaldaten.
Bleibt also ein Hauch von Voodoo, solange sich nicht ein Forschungsteam an die Entdeckungsarbeit der Klangunterschiede identischer Audiodateien macht, die bisher messtechnisch nicht zu verifizieren sind. Mir ist aufgefallen, dass das Verhältnis zwischen Audio-Fakultäten und tatsächlicher Forschung im Vergleich zu anderen Fakultäten extrem schlecht ist. Ich fände es wünschenswert, wenn sich diese Fakultäten intensiver und mit einem wissenschaftlichen Anspruch an die Erforschung derartiger Phänomene machen.
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Vom Autor dieses Artikels sind u.a. die DVD-Serien „Internal Mixing“ und „Audio Mastering“ erschienen, die auf www.AudioTechKnowledge.com erhältlich sind. Friedemann Tischmeyer hat ebenfalls an der umfangreichen DVD-Trilogie „Art & Science of Sound Recording“ von Alan Parsons mitgewirkt. Das derzeit vergriffene Mastering Buch wird ab Herbst 2011 als stark überarbeitete und erweiterte Ausgabe in deutscher Sprache erscheinen.