10 verräterische Anzeichen einer Amateur-Produktion
Von Carlos San Segundo
So entlarvst Du jede Amateur-Produktion
Aufnahmen aus Homerecording-Studios klingen oft nach „Amateur“. Aber was genau unterscheidet denn die Aufnahmen aus den Schlafzimmer-Studios von den professionellen bzw. kommerziellen Aufnahmen? Diese Frage ist nicht einfach mit tonaler Qualität oder dem Vorhandensein so genannter „High Fidelity“ abgetan, denn es gibt genug Aufnahmen aus dem Profilager, die nach LoFi klingen oder absichtlich verzerrt wurden, weil es dem Song gut steht.
Es sind eher andere mehr oder weniger offensichtliche Aspekte und Gesichtspunkte, die den Amateur bei der Aufnahme und beim Mix entlarven. Um genau diese geht es in diesem Artikel.
Es ist wichtig diese 10 verräterischen Anzeichen zu kennen, denn nur so kann man sie in den eigenen Produktionen vermeiden, um bessere und professioneller klingende Aufnahmen und Mixe zu schaffen:
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1. Basslastige Mixe
Nichts sagt mehr Amateur als ein zu basslastiger Mix, dessen tiefe Frequenzen sprunghaft, bzw. pumpend klingen und den Rest des Mixes überlagern und unterbuttern.
Anfänger hören Aufnahmen und Mixe gerne über Kopfhörer oder zu kleinen Lautsprechern ab, die die Bassfrequenzen unterrepräsentieren. Natürlich werden dann die tiefen Frequenzen im Mix aufgedreht, um das Fehlen zu kompensieren. Dies führt dann aber zu breiigen und wenig differenzierten Mischungen.
Um solch übertrieben basslastigen Mixe zu vermeiden, sollte man seine Songs auch auf anderen Abhören (z.B. Auto, Küchenradio, Stereoanlage) gegenchecken und immer wieder mit kommerziellen Referenz-CDs vergleichen.
2. Lautstärke und Sound der Drums
In einer Band ist das Schlagzeug das am schwierigsten aufzunehmende Instrument. Jedes einzelne Element der Aufnahmekette kann das Ergebnis enorm beeinflussen: der Raum, die einzelnen Drums, die verwendeten Mikrofone (und selbstverständlich auch die Performance des Drummers). Professionelle Toningenieure probieren oft tage- oder wochenlang an allen Elementen der Aufnahmekette herum, um sicher zu gehen, dass das Schlagzeug optimal aufgenommen wird und keine einzelne Drum die anderen im Mix überschattet. Die Verwendung von bis zu 10 Mikrofonen bei der Aufnahme von Schlagzeug ist keine Seltenheit – und da kann natürlich nicht jedes Homerecording-Studio mithalten.
Aber selbst wenn man nicht mit den ganz Großen mithalten kann, sollte man zumindest auf eine gute Balance der Einzelsounds bei der Aufnahme bzw. bei der Abmischung achten. Wer Probleme mit den Lautstärken der einzelnen Drum-Elemente hat, kann sich mit einem einfachen Trick behelfen: Zunächst sucht man sich eine moderne Produktion aus, die tonal dem Song ähnlich ist, den man gerade abmischt und spielt diese ab. Man verringert die Lautstärke des Playbacks stetig und je leiser dieses wird, desto mehr Elemente verschwinden ins nicht mehr Hörbare. Bei moderner Musik sind die letzten noch hörbaren Elemente meist die Kick-Drum, die Snare-Drum und das Lead-Vocal. Nun kann man versuchen diese Balance in seinen eigenen Mixen zu reproduzieren.
3. Sich gegenseitig maskierende Instrumente
Dieses Problem hat genau so viel mit Arrangement wie mit Produktion zu tun. Teile einer Musik-Produktion oder bestimmte Instrumente können an Abgrenzung zu anderen verlieren, wenn sie nicht einen eigenen Platz im Arrangement zugewiesen bekommen. Dieses Phänomen ist ganz typisch für Amateur-Produktionen, weil viele von uns noch während der Aufnahmen an den Songs schreiben und neue Parts hinzufügen anstatt im Vorfeld der Aufnahmen das Arrangement zu strukturieren und an die Bedürfnisse des Songs anzupassen.
An diesem Vorgehen ist eigentlich nichts auszusetzen, wenn man entsprechend nacharbeitet.
Wenn man also feststellt, dass sich die einzelnen Spuren oder Instrumente im Mix nicht richtig voneinander absetzen können, dann ist es an der Zeit, sich Gedanken um das Arrangement zu machen und Raum zum atmen zu schaffen.
Weitere Informationen zum Thema Maskierung findest Du im Übrigen in diesen zwei Artikeln:
4. Ungleichmässige Vocals
Der größte Unterschied zwischen professionellen Superstar-Singern und uns Wannabes ist nicht das Einhalten von Tonhöhe, Tone oder Vibrato. Wenn man mal genau hinhört, dann wird man feststellen, dass einige der best-verkaufenden Künstlern sogar recht schlechte Sänger sind…
Was sie wirklich von den Amateur-Sängern unterscheidet ist die Fähigkeit dynamisch zu singen. Ein grossartiger Sänger weiß wie er die Lautstärke seiner Stimme kontrollieren kann und was noch viel wichtiger ist, er weiß wann er die Lautstärke ändern muss. Dies hat genau so viel mit dem Instrument „Stimme“, wie auch mit dem Können vor dem Mikrofon zu tun.
Amateur-Sänger kann man schonmal dabei erwischen 10cm vom Mikrofon entfernt zu flüstern oder mit dem Mikrofon im Mund zu schreien. Das führt zu ungleichmässigen Aufnahmen der Stimme, die wiederum „Amateur“ sagen.
Das korrekte Aufnehmen von Vocals ist aber eigentlich gar nicht schwer. Das Wichtigste und am meisten Ignorierte ist das Üben! Bevor die erste Aufnahme gemacht wird, muss der Sänger jedes Wort und jeden Wechsel im Song kennen und wissen, wann er wie zu singen hat. Am besten sollte man auch die Stellen zum Atmen mit dem Sänger durchgehen.
5. Übertriebener Halleffekt
Hall ist ein Effekt, der am besten nur sehr spärlich eingesetzt wird – gleich ob es darum geht mehr Tiefe oder Räumlichkeit zu erzielen. Anfänger und Amateure arbeiten hier oft nach der Methode „etwas ist gut, mehr ist besser“. In aktuellen, modernen Musik-Produktionen wird Hall aber nur sehr sehr spärlich eingesetzt (es sei denn es geht darum den Effekt absichtlich prominent zu gestalten). Meistens ist der Hall fast unhörbar und verleiht der Stimme etwas mehr Textur.
Eine einfache Regel für das Nutzen von Hall ist den Effekt so lange lauter zu machen bis er gerademal hörbar wird, um ihn anschliessend um eine Kleinigkeit zurückzudrehen. Man muss dem Drang die Stimme in tiefe Chamber- oder Room-Effektpresets zu situieren standhalten.
6. Billig klingender Hall-Effekt
Selbst ungeübte Ohren können den Unterschied in der Klangqualität zwischen einem Lexicon Hallgerät für EUR 3000.- und einem in den Multitrack-Recorder eingebauten Halleffekt heraushören. Das liegt daran, dass der Mensch jeden Tag den unterschiedlichsten Halleffekten in der Natur und seiner Umgebung ausgesetzt ist.
Wer sich kein teures Effektgerät für Hall-Algorithmen leisten kann, kann sich mal bei den Plugins umschauen. Das VST-Plugin SIR gilt als eines der besten und ist sogar kostenlos erhältlich. Im Zweifel ist es besser den Hall ganz wegzulassen als einen schlecht klingenden Hall zu nutzen.
7. Falsche Drums
Oder besser gesagt: offensichtlich im Sequencer erstelltes Schlagzeug, das als echtes Schlagzeug durchgehen soll. Dies ist zwar kein Problem in elektronischer Musik, wo die Beats von Drum Machines gespielt werden. Aber in Pop- und Rock-Musik sind die dynamischen Anforderungen höher und der Hörer ist an natürliche und nuancierte Sounds vom Schlagzeug gewöhnt.
Der Amateur-Mix ist am einfachsten an der Ride Cymbal oder der Snare Drum zu hören. Der Sound einer echten Snare Drum hängt davon ab wo und wie stark der Stick die Drum trifft. Und das gilt noch viel mehr für das Ride Cymbal, insbesondere in der Nähe der Erhöhung in der Mitte. Wenn ein Musikstück nun 16 Takte lang dasselbe Sample einer Ride Cymbal im Achtel-Rhythmus spielt, dann ist auch für den Laien klar, dass etwas nicht stimmen kann.
Mit einem bisschen mehr Aufwand können aber auch programmierte Drums realistisch klingen und die in viele Sequencer eingebaute Groove-Quantisierung kann hier ebenfalls etwas mehr Menschlichkeit in die Beats bringen.
8. Unverständliche Vocals
Wenn ein Song Lyrics bzw. eine Gesangsspur hat, dann sollte ein Zuhörer auch in der Lage sein, den Inhalt der Worte verstehen zu können. Natürlich erscheint das elementar, aber viele Anfänger und Amateure übersehen diese Tatsache.
Es gibt verschiedene mögliche Gründe für unverständliche Vocals. Eine Möglichkeit ist der so genannte Nahbesprechungseffekt bei direktionalen Mikrofonen. Wenn die Schallquelle sich zu nah an der Membran befindet, werden die tiefen Frequenzen angehoben. Abhilfe ist einfach geschaffen indem man das Mikrofon einige Zentimeter von der Schallquelle entfernt.
Ein weterer Grund könnte das Fehlen eines Popp-Filters sein, denn dadurch werden im schlimmsten Fall harte Konsonanten in einen kleinen Luftstrom übersetzt, der Plopps und Popps auf der Aufnahme hervorruft. Eine solche Aufnahme klingt sorglos und faul. Wer sich keinen Popp-Filter leisten möchte, der kann aus einem Kleiderbügel und einem Nylonstrumpf einen Poppschutz zusammenbasteln. Der Effekt ist auch mit der DIY-Methode zufriedenstellend.
Weiterhin ist oft ein falsch eingestellter EQ schuld an unverständlichen Vocals. Zu oft neigt man dazu einen Vocaltrack durch das Boosten der hohen Frequenzen verbessern zu wollen und macht das Vocal dadurch zu kantig, scharf und manchmal sogar dünn ohne die Klarheit zu steigern. Viel effektiver ist es hingegen eine Vocalspur durch einen Low-Frequency Cut um die 100Hz „aufzuräumen“ und durch einen minimalen Boost um die 4-5kHz die Sprachverständlichkeit etwas zu verbessern.
9. Zu viel (schlechter) Raumklang
Wer keinen akustisch behandelten oder sehr großen Aufnahmeraum hat, sollte sich bewusst werden, dass der Aufnahmeraum alles andere als optimal ist. Andererseits bedeutet ein schlecht klingender Raum nicht gleich automatisch eine schlechte Aufnahme. Viele kommerzielle Alben sind in solchen suboptimalen Umgebungen aufgenommen worden, es wurde dann aber darauf geachtet, dass sich der Raumklang, der in den Aufnahmen zu hören ist, in Grenzen hält.
Passendes Tutorial: Mikrofon richtig im Raum aufstellen »
Um den Raumklang möglichst gering zu halten, sollte man Mikrofone mit Nieren- oder Acht-Charakteristik wählen und möglichst nah an der Schallquelle mikrofonieren.
10. Schlechtes Timing
Professionelle Musiker üben oftmals wochen- oder monatelang bevor sie ins Studio gehen. Wie bereits weiter oben erwähnt, tendieren Amateure dazu ihre Musik on-the-fly zu schreiben und aufzunehmen, was wiederum bedeutet, dass das Üben schlicht wegfällt. Oftmals kommt noch hinzu, dass man glaubt Fehler im Mix korrigieren zu können und deswegen Aufnahmen behält, die alles andere als perfekt sind.
Wer aber professionell klingen will, der muss nach Perfektion streben und darf keine Fehler in den finalen Spuren haben. Ein einziger Fehler kann einen Song schon als einen Amateur-Mix entlarven.
Oder anders gesagt: Gute Bands sind tight, und wenn die eigene Musikproduktion nicht tight klingt, dann denken die Zuhörer automatisch man wäre nicht gut. Der Schlüssel ist ausgiebiges Üben bevor man auf den Aufnahmeknopf drückt.
Fazit
Das waren die 10 verräterische Anzeichen einer Amateur-Produktion. Kennst Du weitere Stolperfallen? Wir freuen uns auf deinen Kommentar.