Kolumne
Like dich doch selbst! Wenn es sonst keiner tut…
Von Jens Bender am 19. März 2017
Es fing ganz harmlos an…
Da gibt es eine Plattform, auf der Du kostenlos deine Musik promoten kannst, haben sie gesagt. Eine eigene Website brauchst Du nicht. Heutzutage läuft alles über Myspace. Jeder ist da. Wow, hab ich gedacht.
Mit ein paar Klicks habe ich mein Profil erstellt und meine Lieder hochgeladen. Es war einfach zu verlockend. Plötzlich war ich mittendrin, ich konnte nichts mehr dagegen tun…
Und jetzt? Myspace ist tot.
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Es lebe der Pluralismus!
Ich fühle mich zerrissen. Meine Musik ist auf Soundcloud, die Videos sind auf YouTube, Bilder auf Instagram und Nachrichten auf Twitter…
Vernetze dich mit anderen Musikern und Veranstaltern auf Backstage Pro, haben sie gesagt. Wie, Du bist noch nicht auf Bandcamp? Da verpasst Du aber was.
Ach ja, und einen Platz auf Spotify, iTunes, Amazon Music, Google Play, Shazam und wie sie alle heißen, brauchst Du natürlich auch.
Allmächtiges Facebook
Wieso viel Geld bezahlen, wenn Du kostenlos eine Musiker-Seite einrichten kannst? Warum woanders hingehen, wenn die Leute, die Du erreichen willst, bereits dort sind? Haben sie gesagt.
Um Facebook kommst Du als Musiker kaum herum. Vereint es doch alle anderen Accounts an einem Platz, in einem Profil: Texte, Bilder, Videos, Musik, Veranstaltungen, Infos, Biografie… Wenn es einen digitalen Ort gibt, an dem Du wirklich viele Menschen auf einen Schlag erreichen kannst, dann dort.
Oder etwa nicht?
Anfixen & abzocken
Facebook lockt mit einer kostenlosen Seite für Musiker und 1,86 Milliarden monatlichen Nutzern (Stand: Ende 2016). Da sind feuchte Träume vom viralen Erfolg vorprogrammiert. Bei so vielen Leuten muss es doch ein paar hunderttausend geben, die das gut finden, was ich mache. Hab ich mir gedacht.
Anders als bei YouTube kann ich mir hingegen von Likes auf Facebook kein Brot kaufen. Im Gegenteil: Will ich, dass ein Post alle meine Follower erreicht, muss ich meinen „Beitrag bewerben“.
Selbst Leute, die bereits „Gefällt mir“ auf meiner Seite geklickt haben, bekommen nicht alle meine Beiträge angezeigt, bevor ich nicht Mark Zuckerberg ein paar Euro in den Schlund geschoben habe.
Anfixen und Abzocken. Eine erfolgreiche Strategie, nicht nur unter Drogen-Dealern…
Keiner hat etwas geahnt
Einladungen meine Seite mit „Gefällt mir“ zu markieren, regelmäßige Posts, Veranstaltungen und persönliche Nachrichten…
Meinem digitalen Umfeld ist zunächst nichts aufgefallen. So ist das doch immer. Aber dann wurde es immer schlimmer, bis es schließlich allen klar war: Ich bin ein aufstrebender Musiker.
Ein erhebendes Gefühl, als mir die ersten Fans jenseits von Verwandten oder Freunden ihre Likes schenkten. Ich war berauscht. Ich wollte mehr. Aber dann ging es nicht weiter. Die Zahlen stagnierten.
Ist meine Musik einfach kacke?
Das wäre zumindest die naheliegende Erklärung. Damit könnte ich sogar leben. Gegen diese Theorie spricht allerdings, dass ich regelmäßig Auftritte und positives Feedback von mir fremden Menschen bekomme. Sogar das ein oder andere wohlwollende Presse-Review jenseits des lokalen Stadtblatts ist am Start.
Ganz so schlecht kann meine Musik dann anscheinend nicht sein. Aber über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten. Es muss andere Gründe geben, warum sich auf Facebook, YouTube & Co. wenig bewegt. Die Übersättigung des Marktes ist mit Sicherheit ein Grund – aber auch eine faule Ausrede, um den Fehler nicht bei sich selbst suchen zu müssen.
Zusammen sind wir stärker?
Ich weiß, dass ich mit meinem Problem nicht alleine bin. Also wollte ich mir Hilfe holen. Auf Facebook gibt es zahlreiche passende Selbsthilfegruppen, in denen Singer-Songwriter & Gitarristen ihre Werke mit der Community teilen.
Zusammen sind wir stärker, habe ich gedacht. Wir helfen uns gegenseitig. Gemeinsam schaffen wir das, was wir alleine nicht können! Bis mir irgendwann klar wurde, dass am Ende doch jeder nur sein eigenes Süppchen kocht. Ich eingeschlossen.
„Bitte like mich, like mich, like mich!“ Like dich doch selbst!
Hilfe sollte man von anderen Musikern nicht erwarten. Und wer sollte es ihnen verübeln? Ich habe selbst genug damit zu tun, gerade so im Social Media-Jungle zu überleben.
Mein größter Fan…
…bin ich – ich like und teile meine eigenen Beiträge mit meinem privaten Profil. Anders komme ich einfach nicht auf meinen Reichweite-Pegel.
Früher war es mal ein Post am Wochenende. Vielleicht auch zwei. Das war lustig und hat niemandem geschadet. Jetzt fange ich meist schon morgens damit an…
Klicks & Likes – Indikatoren deines Marktwerts?
Tatsächlich nehmen manche Booker keine Künstler ins Programm, deren „Gefällt mir“-Angaben unter einer bestimmten Zahl liegen. Unter 500 Likes ist es schwierig als Musiker ernstgenommen zu werden.
Ich kann den Gedanken dahinter verstehen. Veranstalter haben hohe Kosten: Miete, Personal, Getränke, Werbung etc. Warum sollten sie also jemanden spielen lassen, bei dem höchstens Eltern und drei Freunde den ganzen Abend an einer einzigen Flasche Mineralwasser nuckeln?
Es ist ein Teufelskreis: Durch mehr Likes, wirst Du für größere Locations attraktiver. Aber um mehr Likes zu bekommen, musst Du da spielen, wo viele Leute sind.
Ein verlockendes Angebot
Als unbekannter Musiker kann das sehr frustrierend sein. Ich habe sogar schon darüber nachgedacht, mir Likes zu kaufen. So weit bin ich schon. Für nicht mal 20 Euro bekäme ich 1.000 internationale Fans auf meiner Seite. Für knapp 35 Euro sogar 2.000. Endlich berühmt?
Aber was bringen mir bitte 2.282 Fans, wenn am Ende wieder nur dieselben drei Hansel (und mein größter Fan) meine Beiträge liken?
Endlich frei?
Seit einem Jahr habe ich nun eine eigene Website. Und es fühlt sich gut an. Endlich bin ich unabhängig. Ich habe ein Zentrum – eine digitale Heimat, in der ich endlich sein kann, wer ich wirklich bin. Ein Ort, den ich ganz nach meinen eigenen Wünschen gestalten kann.
Dennoch kann ich nicht auf meine Social Media-Kanäle verzichten. Zu tief drin, um jetzt aufzuhören… Und so werde ich weiter meine sozialen Netze auswerfen und dankbar sein für jeden auch noch so kleinen Fang, der mir den Tag versüßt.
Der Weisheit letzter Schluss
Einfach nur einen Account bei Facebook, YouTube oder ähnlichen Seiten zu haben, wird deinen Bekanntheitsgrad nicht automatisch erhöhen. Regelmäßiges Posten, Beiträge in Themen-Gruppen und die digitale Vernetzung mit anderen Musikern, können natürlich helfen, dich mit deiner Musik weiterzubringen. Aber die Pflege deiner sozialen Netzwerke kostet Zeit und Kraft. Sie ist vor allem eins: Arbeit.
Was wirklich hilft, ist Likes & Shares nicht allzu ernst zu nehmen. Am Ball bleiben, weitermachen. Inhalte optimieren. Auch wenn es frustrierend sein kann. Wenn die Qualität deiner Musik einigermaßen stimmt, bekommst Du auch Auftritte ohne 5.000 Follower auf deinem Facebook-Konto. Schenke der Welt außerhalb der sozialen Netzwerke mehr Aufmerksamkeit.
Willst Du darüber reden?
Jetzt ist es an der Zeit den Redeball weiterzugeben. Wir geht es dir mit Facebook & Co.? Welche Erfahrungen, welchen Frust hast Du als Musiker mit den sozialen Netzwerken? Es tut gut, einfach mal darüber zu reden… glaub mir: Du bist nicht allein.