Karlheinz Kögel
Eine kurze Geschichte der Musikcharts
Von Alexander Schölzel am 21. Juli 2019
Karlheinz Kögel und das Medienimperium
Kögel schließt die Hauptschule ab, beginnt eine Schreinerlehre und beendet später ein BWL-Studium vorzeitig. Er arbeitet zunächst in der Redaktion von SWF3, eine Radioproduktion, bei der er den »Pop-Shop« mitverantwortet. Er entscheidet damals, welche Platten im Radio gespielt werden.
Der heute 72-jährige erfindet wenige Jahre später die Verkaufshitparaden, verdient ein Vermögen und prägt nachhaltig die Musikwelt. 1977 werden durch die Media Control die ersten Playlists veröffentlicht. Die Idee ist zunächst ganz simpel gestrickt: Kögels Unternehmen liefert objektive Zahlen, wie häufig Musiktitel im Rundfunk gespielt werden. Gearbeitet wird in einem Kellerbüro.
Durch seine Arbeit beim Radio bekommt er die Unsicherheiten der Promoter und Fans hautnah mit. Täglich tauchen Mitarbeiter der Labels im Studio auf und wollen wissen, welche Titel überhaupt am erfolgreichsten sind. Seine Idee, verlässliche Zahlen zu liefern, liegt beinahe auf der Hand. Die große Herausforderung damals: Wer ist bereit, Tag und Nacht das Radioprogramm mitzuschneiden, um die gespielten Platten anschließend zählen zu können?
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Gefängnisinsassen mit Tonbandgeräten
Dem SWR gegenüber spricht Kögel in einer empfehlenswerten Dokumentation über die Anfänge von Media Control und wie er viele Herausforderungen gemeistert hat: »Ich habe einfach eine Gruppe gesucht, die den ganzen Tag an einem Platz sitzt.«
Er denkt an Bewohner von Altenheimen oder Gefängnisinsassen. Letztere bekommen den Zuschlag. Die Inhaftierten bekommen ein Tonbandgerät und die Aufgabe, alle vier Stunden das Band zu wechseln.
Media Control wertet diese Bänder, die Aufnahmen von über 100 Sendern enthalten, aus. Statistiken der Plattenläden werden bald darauf mit eingerechnet. Was als kleine Idee beginnt, wächst nun immer rasanter zu einer ausgefeilten Datenmaschinerie an. Eine entscheidende Frage steht jedoch weiterhin im Raum: Wie kann man all die Daten zu Geld machen?
»Das Geschäft lief überhaupt nicht«
Wieso überwacht uns jetzt der Kögel?
Mit dem SWR spricht Karlheinz Kögel über die Startschwierigkeiten: »Das Geschäft lief dann am Anfang natürlich überhaupt nicht. Die Radios haben gesagt:
‚Wieso überwacht uns jetzt der Kögel?‘« Und auch die Musiker selbst wussten mit den Zählungen nichts anzufangen. Doch Kögel scheint das alles nicht zu kümmern. Seine Marketingstrategie: Musiker gegeneinander aufwiegen, Streit anzetteln.
»Ich habe den Künstlern Listen zugeschickt. Udo Jürgens war einer der Ersten.« Ihm schickt Kögel eine Liste, aus der hervorgeht, dass seine Titel in der letzten Woche nicht gespielt wurden. »Der ist dann wutentbrannt zur Plattenfirma gelaufen, die Plattenfirma zum [Rund]funk.« Am Ende hatte Kögel es geschafft, dass alle Beteiligten wütend aufeinander waren und schließlich die Listen bestellten.
Plötzlich erfolgreich
Mit einem Schlag waren seine zunächst wertlos erscheinenden Daten Gold wert. Nach und nach wird die Arbeit der Gefängnisinsassen von Maschinen abgelöst. Mit den ersten Computern ist es möglich, 500 Titel zu speichern. Mit fortschreitender Technik wird es machbar, bis zu 64.000 Lieder zu erfassen.
Immer ausgefeilter, immer automatisierter geht die Arbeit von statten. Und Kögel denkt weiter und größer. Er sucht sich Rat bei jemandem, der wohl schon immer gut darin war, massenhaft Daten zu erfassen und auszuwerten: Die USA. In den Staaten wird zu dieser Zeit bereits an Systemen gearbeitet, die Musikstücke selbsttätig anhand eines Testsamples erkennen und zählen.
Manager und Medienmacher
Von nun an scheinen die Möglichkeiten unendlich. Kögel weitet sein Geschäft schnell aus und beginnt, sich auch auf den TV-Sektor auszurichten. Die Idee: Das Monitoring von Politikern, Stars und Sternchen aller Art. Wer wird wie oft in TV-Sendungen erwähnt? Das Geschäft brummt.
Doch immer wieder wird er gezwungen umzudenken. Heute liegt sein Fokus auf dem Erstellen von Bestsellerlisten für Bücher und der Beratung von Medienunternehmen. Er ist zum Medienmacher aufgestiegen, pflegt sein weltumspannendes Netzwerk und arbeitet sicher schon an der nächsten großen Idee.