Kann die Blockchain die Musikindustrie verändern?
Von Alexander Schölzel am 21. August 2017
Kurz gefasst: Was ist die Blockchain?
Immer häufiger ist in den Medien von der Blockchain die Rede: Angefangen als Rückgrat des Bitcoins bildet sie ein jederzeit, von jedermann einsehbares Kontenbuch, das über eine dezentrale Struktur verfügt.
Im Gegensatz zu einem zentralen Aufbau ist dieses virtuelle Kontenbuch verteilt auf vielen verschiedenen Computern – auch Nodes genannt – abgelegt. In einer chronologischen Kette werden auch noch so kleine Transaktionen abgebildet und in Blöcken zusammengefasst. Dezentralität und kryptographische Verfahren sorgen für höchstmögliche Transparenz und Sicherheit. Ganze Prozesse können automatisiert und ohne die Gefahr einer Datenmanipulation aus den Händen gegeben werden.
Jeder Eintrag, der jemals in das Blockchainverzeichnis eingetragen wurde, kann für immer nachvollzogen und niemals gelöscht werden. Das fördert Vertrauen und ermöglicht den Austausch zweier sich völlig unbekannter Parteien. Denn Ziel der Blockchain ist in erster Linie das Versenden von Werten über das Internet.
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Wo zuvor Mittelsmänner wie PayPal oder Banken eine wesentliche Rolle einnahmen, erfolgt der Werteaustausch auf Basis dieser Infrastruktur. Die Vielfalt der Anwendungsbereiche wächst stetig: Die Bitcoin-Blockchain ist nur ein Beispiel von vielen. Sie gilt als manipulationssicherer, transparenter technischer Vermittler und könnte ebenso in städtischen Verwaltungen zum Einsatz kommen.
Anwendungsmöglichkeiten in der Musikindustrie
Mit einer ersten denkbaren Anwendungssituation hat sich der 30-jährige Kanadier Cédric Cobban befasst: Sein Start-Up Peertracks, welches sich inzwischen in Muse umbenannt hat, setzt vollständig auf die Blockchain-Technologie, mit dessen Hilfe er Ordnung in das Rechte- und Lizenzierungschaos von Musik bringen möchte. Wo bisher noch Labels schalten und walten, könnte künftig die Blockchain eingesetzt werden.
Das Problem, das Cobban sieht und lösen möchte: Häufig gibt es viele Anteilseigner, die an einem Musiktitel verdienen wollen. Cobban´s Idee sieht vor, die Bezahlmodalitäten transparent aufzuschlüsseln, sodass klar erkenntlich ist, wer welche Rechte hält. Künstler können ihre Titel direkt auf seiner Website zum Download oder Stream anbieten. Dazu geben Musiker, die ihre Stücke bereitstellen, zuvor über ein Onlineformular an, wer welche Rechte an einem Lied hält.
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Mit den erhaltenen Informationen wird die Blockchain gefüttert: Alle Gelder, die nun durch die Verkäufe oder Streams eingenommen werden, können automatisiert und exakt aufgeteilt an die Anteilseigner transferiert werden. Sicher, transparent, ohne die Möglichkeit zur Manipulation. So, wie es die Blockchain eben vorsieht.
Fans können Anteile erwerben
Der Kanadier denkt noch weiter: Eine spannende Einnahmequelle für aufstrebende Musiker stellen die sogenannten Notes dar: Im Grunde ähneln sie Aktien, die von Fans erworben werden können. Ihre Stückzahl ist festgelegt, eine Inflation damit ausgeschlossen. Ihr Wert kann sich je nach steigender beziehungsweise fallender Popularität des Musikers verändern.
Hier zeigt sich die Spannweite der Idee hinter der Online-Plattform, die eine Mischung aus iTunes, Spotify und Crowdfunding-Seite darstellt. Über einen Marktplatz können Notes gehandelt werden, die Abwicklung der Verkäufe übernimmt die Blockchain. Fans können ihrem Lieblingskünstler nicht nur finanzielle Unterstützung zukommen lassen. Ebenso kann ein Musikliebhaber mit dem richtigen Riecher finanziell profitieren.
Das Start-Up UJO Music verfolgt ein ähnliches Konzept
Labels klammern sich an Rechtekataloge
Bis ein Start-Up wie Muse erfolgreich durchstarten kann, bedarf es einer Menge Überzeugungskraft und Motivation. Undenkbar ist es zwar nicht, dass die Musikbranche eines Tages nicht vielleicht doch die Digitalisierung annehmen und neue Modelle etablieren wird. Bis dahin liegen aber enorme Steine im Weg.
Sollten die großen Labels ihre Rechtekataloge, wie angenommen, schützen, wäre der Ausbau einer solchen digitalen Datenbank für Musiktitel zwar nach wie vor sinnvoll und durchaus lohnenswert, aber schwerlich umzusetzen.
Ein weiteres Problem ist der personelle Aufwand: Alle Informationen zu einem Musiktitel, die der Blockchain anfangs mitgeteilt werden, müssen aufwendig von Menschenhand überprüft werden. Ein Kostenfaktor, der nur schwer zu stemmen ist. Im Falle von Muse würden fünf Prozent Transaktionsgebühren pro Verkauf erhoben werden.
Gerechtere Auszahlungssysteme für Musiker
Insgesamt betrachtet bietet ein System, wie das der Blockchain, viele Möglichkeiten, um geistiges Eigentum besser zu schützen. Die Sicherung von Musikrechten ist ein wichtiger Schritt zur Bekämpfung von Musikpiraterie. Auch der Technologieriese »IBM« unterstützt zusammen mit der »Distributed Ledger Plattform Fabric« von Hyperledger ein Projekt, das eine Verbindung zwischen Musikproduktion und -konsum herstellen möchte.
Auch hier soll eine dezentrale Datenbank alle anfallenden Metadaten rund um ein veröffentlichtes Musikstück sammeln und die Verbreitung dieser tracken können. Anteilseigner können damit besser geschützt und neue Geschäftsmodelle aufgebaut werden. Während viele Fragen offen bleiben steht eines jedoch fest: Der Schutz geistigen Eigentums wird wohl in Zukunft vermehrt mit der Blockchain-Technologie verknüpft werden.
Was es jedoch zunächst bräuchte, wäre ein großes, bekanntes Gesicht, das es allen vormachen und nach und nach immer mehr Künstler und Labels mitziehen würde. Die Vorteile der Blockchain dürften jedem Musiker Tränen in die Augen treiben: Exakte Abrechnung – in Echtzeit!