Avicii im Portrait
»Es wird mich umbringen«
Von Alexander Schölzel am 11. August 2019
Avicii – Tot mit nur 28 Jahren
In der Dokumentation »Avicii: True Stories« sagt er über das Leben auf Tour: »Es wird mich umbringen.« Nach seinem Tod gibt seine Familie ein Statement ab – in der schwedischen Zeitung »Aftonbladet« heißt es: »Tim Bergling war nicht für die Maschinerie gemacht, in der er landete.«
Diese Maschinerie setzt sich vor allem aus den unzähligen Auftritten auf der ganzen Welt zusammen, denn eigentlich war Avicii im Studio zuhause. Akribisch arbeitete er beinahe ununterbrochen an neuer Musik. Bis hin zur Perfektion feilte Avicii an neuen Melodien, Beats und Rhythmen. Musikgrößen aus aller Welt feierten ihn als Wunderkind und wollten mit ihm arbeiten.
Bergling verbringt Studiozeit mit Chris Martin, Nile Rodgers oder Wyclef Jean. Vor einer seiner ersten großen Shows kündigt niemand Geringeres als Madonna ihn an.
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Berglings Karriere beginnt mit einem Remix
Avicii wird in Stockholm geboren. Sein ganzes Leben spielt sich bis zu seinem 19. Lebensjahr in einer behüteten, aber begrenzten Gegend ab. Innerhalb von fünf Blocks, so beschreibt er es in seiner Dokumentation, geht er zur Schule, trifft sich mit Freunden. Bergling macht, was ein Jugendlicher nach Schulschluss und in den Ferien nunmal tut. Zu dieser Zeit ist er sich aber bereits sicher, dass er nach der Schule etwas Kreatives machen möchte.
Ein Freund zeigt ihm die Musikproduktionssoftware FL Studio. Avicii lädt sie herunter, um einen Remix von Kernkraft 400’s »ZombieNation« anzufertigen. Von da an war er infiziert davon, Musik zu produzieren. Er verbringt Tage und Nächte damit, Songs zu analysieren, lernt in zahllosen Tutorials auf YouTube sein Handwerk und beginnt, erste eigene Projekte online auf Musik-Blogs zu promoten.
Freunde erzählen später, dass Tim nach einer durchgemachten Nacht hinauf auf das Dach seines Apartmenthauses ging, um in der Sonne zu schlafen. Auf diese Weise würde er ohne Anstrengungen gebräunt, während sein Körper sich erholt.
Laidback Luke – einer von Aviciis Wegbereitern
Avicii schickt Demos an den Produzenten und DJ Laidback Luke, der sofort angetan ist von seiner Musik. Er erkennt schnell, dass in ihm ein großes Talent schlummert.
Von da an sendet er jeden fertigen Track zuerst an Luke – zeitweise bis zu fünf Stück pro Woche. Seine Freunde glauben da bereits fest an seinen Erfolg und setzen einen – wenig ernst gemeinten – Vertrag auf, in dem festgehalten wurde, dass Tim, sollte er erfolgreich werden, all seine Freunde mit nach L.A. nimmt und man gemeinsam auf einem riesigen Anwesen lebt. Es sollte Wirklichkeit werden.
Während Laidback Luke schon regelmäßig Stücke von ihm in seine Sets einbaut und auch weitere EDM-Größen, wie David Guetta oder Tiësto, ein Auge auf ihn geworfen haben, hört ein gewisser Ash Pournouri seine Lieder online und kontaktiert ihn über Facebook. Ash ist Musikmanager und Promoter. Von hier an beginnt die Maschinerie zu arbeiten. Unermüdlich.
Ash will ihn nicht einfach nur managen. Sein Plan: Avicii zum größten EDM-Star aller Zeiten machen. Es wird keine Zeit vergeudet. Am Tag seiner ersten großen Show in Miami lernt er Laidback Luke persönlich kennen. Luke beschreibt ihn als schüchternes und zurückhaltendes Kind. Anfangs spielt er ein oder zwei Shows pro Monat. Sein Fokus liegt weiterhin auf der Produktion neuer Musik. Es braucht starke Tracks, ein Aushängeschild.
Aviciis musikalischer Durchbruch
Mit »Bromance« schafft Bergling es, einen ersten kommerziellen Erfolg zu erzielen. Avicii findet immer mehr zu seinem persönlichen Sound, als er über ein Sample von Etta Jones stolpert und versucht, die passende Musik dazu zu erstellen. Als sein bis dahin größter Hit »Levels« fertig ist, können die Menschen ihn schon mitgrölen.
Avicii wird überrollt vom Erfolg. Auch sein Manager spricht schon damals davon, dass all die Termine, die bevorstehen, ihn umbringen werden. Das Interesse an »Levels« ist enorm. Universal Music zahlt 500.000 Euro für die Rechte und nimmt Avicii unter Vertrag. Der Anfang vom Ende?
Blinddarmdurchbruch, Gallenblasenriss
Um mit der Angst vor den Shows umgehen zu können, fängt Tim an zu trinken. Eigentlich, so betonte er es, habe er immer Sorge davor gehabt, Alkohol zu trinken. Aber schnell merkt er, dass ein, zwei Gläschen vor der Show ihn lockern. Jahre vergehen, in denen er wie ein Uhrwerk funktioniert, Alkohol immer eine Rolle gespielt hat.
Vermutlich als Folge vermehrten Alkoholmissbrauchs entzündet sich seine Bauchspeicheldrüse. Auf dem Weg zu einer Show in Australien sind die Schmerzen zu groß. Avicii kommt in ein Krankenhaus. Wegen eines Blinddarmdurchbruchs samt Gallenblasenriss wird er operiert und bekommt starke Schmerzmittel. Kurz darauf geht die Tour weiter.
»Zurück an den Ort, wo für Avicii alles Sinn machte«
In der Dokumentation spricht Avicii über die Zeit: »Ich war ständig wie zugedröhnt und wusste nicht, wie lange das noch so weiter gehen soll. Es war ein Leben unter Starkstrom. Ich hatte keine Zeit darüber nachzudenken, ob mir das Leben auf Tour auch gefällt. Ich war acht Jahre ständig unterwegs und nach vier Jahren fiel mir auf, dass sich kein Gefühl von zuhause einstellte, und mir wurde bewusst, dass ich das nicht mehr wollte. Es war mir einfach alles zu viel. Da hab ich beschlossen aufzuhören.«
Seinen Fans teilte Avicii daraufhin mit: »Letztes Jahr habe ich mit den Live-Performances aufgehört und viele von Euch dachten wohl, dass es das war. Aber das Ende der Live-Auftritte bedeutete nie das Ende von Avicii oder meiner Musik. Stattdessen ging ich zurück an den Ort, wo alles Sinn machte: ins Studio.«
»Avicii war nur noch der Schatten seiner selbst«
Ein Freund kommentiert ebenfalls: »Er war nur noch der Schatten seiner selbst. Das war nicht mehr der Mensch, den ich kannte.« Avicii zieht die Reißleine, bricht seine Tour ab und zieht sich vollständig aus dem Business zurück.
Aber hinter den Kulissen arbeitet er ständig weiter an neuer Musik. Seine Rolle als Produzent stand für ihn immer im Vordergrund. Er komponiert, er arrangiert und produziert. Noch über seinen Tod hinaus wird seine Musik veröffentlicht werden.
Im Juni dieses Jahres erscheint das Album »Tim«, mit bisher unveröffentlichten Stücken. Sie erzählen eine tragische Geschichte. Alle Stücke wurden weitgehend vor seinem Tod fertiggestellt. Und sie beschreiben die Tragik, in der er sich als Künstler befand. Zum Zeitpunkt seines Todes soll Berglings 200 unveröffentlichte Songs in der Pipeline gehabt haben. Der Song »SOS«, mit Soul-Sänger Aloe Blacc, handelt von psychischen Problemen.
Aviciis größte Hits
»S.O.S.«
In den ersten Zeilen des Stücks heißt es: »S.O.S. Help me put my mind to rest.« Aloe Blacc sagt Folgendes über den Text: »Offensichtlich schrieb Avicii diesen Text über seinen eigenen Kampf. Es handelt sich dabei um ein Thema, bei dem wichtig ist, darüber zu sprechen, um den Menschen die Worte zu geben, sagen zu können: ‚Ich brauche Hilfe‘.«
Die Einnahmen aus »S.O.S« sollen einem guten Zweck dienen. Aviciis Eltern gründeten unlängst die »Tim Bergling Stiftung«, die sich für die Suizidprävention und auch für die Behandlung psychischer Erkrankungen einsetzt.
»Avicii wollte Frieden haben«
Am 20.04.2018 wurde Avicii im Oman leblos aufgefunden. Er befand sich auf einem Anwesen der omanischen Königsfamilie. Die Polizei gab einen Tag später bekannt, keinen Zusammenhang zwischen seinem Tod und einem Verbrechen ermittelt haben zu können.
In einer offiziellen Erklärung seiner Familie heißt es später: »Er hat wirklich gerungen mit dem Nachdenken über den Sinn, das Leben, das Glück. Jetzt hat er es nicht länger geschafft. Er wollte Frieden haben.« Am 8. Juni 2018 wurde er in kleinem Kreise in seiner Heimatstadt Stockholm beigesetzt. Aviciis Tod war ein riesen Schock für seine Fans und die die ganze Welt.
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