Amp Modeling Ratgeber
Von Markus Hohmann am 11. April 2023
Hintergrund Amp-Modeling
Anno 1996 rief der Hersteller Line 6 mit der Einführung des PODs die digitale Revolution in Sachen Amp-Simulation aus. Seither gibt es noch viele mehr am Markt. Und die Marketingabteilungen der Anbieter werden nicht müde, jede neue Generation dieser Geräteklasse als ultimativen Ersatz für herkömmliche Röhrenamps und Gitarrenrigs anzupreisen.
Ältere Generationen und günstige Modeler enttäuschen oft
Lässt sich der ambitionierte Gitarrist auf die Versprechungen ein, so weicht die Euphorie oft nach wenigen Stunden des Experimentierens mit der neuen Errungenschaft.
Man kann „tweaken“ wie man möchte – an Druck, Dynamik, Klangentfaltung, Zerrstruktur und Obertonverhalten sind viele dieser „digitalen Tausendsassas“ dennoch spür- und hörbar weit von echten Röhrenamps entfernt.
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Darüber tröstet auch die hohe Anzahl an Effekten nicht hinweg, weil sie qualitativ mit Effektspezialisten im Bodenpedal- oder Rack-Format nicht mithalten kann. Mag das Preis-/Leistungsverhältnis vieler „Amp-Modeler“ noch so positiv erscheinen: Diese Geräteklasse befriedigt oft nicht, wenn Soundqualität statt Preisschild, Portabilität oder Flexibilität oberste Priorität hat.
Eine Frage des Preises?
In diesem und dem folgenden Artikel wende ich mich den beiden Hardware-Simulatoren zu, welche die Preisregionen anderer digitaler Amp-Simulatoren weit hinter sich lassen: Für den Kemper Profiling Amp werden ca. 1.590 Euro aufgerufen, der Fractal Audio Axe-Fx II XL erleichtert die potente Börse gar um 2.600 Euro.
Warum nicht gleich das Original kaufen?
Diese High-End-Boliden stoßen in Preisregionen vor, für die man leicht auch den ein- oder anderen Boutique-Röhrenamp im Original erwerben könnte, dessen Sound unsere Testkandidaten eben „nur“ als Emulation, als digitale Kopie anbieten.
Weitere Kosten fallen für eine entsprechende Verstärkung des Gitarrensignals an und will man die Geräte auf Bühne und im Proberaum live-tauglich steuern, schlägt noch ein MIDI-Footcontroller zusätzlich zu Buche. Da keimt schnell die Frage auf: Warum nicht gleich „das Original“ kaufen, anstatt digital zu substituieren?
Für jeden Anspruch eine Lösung
Die Antwort folgt auf dem Fuße: Diese Geräte bieten eine Soundvielfalt, für die ansonsten ein ganzes Arsenal an Röhrenamps, Gitarrenboxen, Boden- und Rackeffekte gebraucht wird. Sie bieten konsistenten Sound auf der Bühne (unabhängig einer Mikrofonierung), im Proberaum, und im Studio – bei jeder Lautstärke.
Ein Reamping wird zum Kinderspiel und breit gefächerte Sounds samt Effektketten sind per Preset auf Knopfdruck abrufbar. Diese Flexibilität ist mit Röhrenamps und einzelnen Effekten nicht, bzw. nur mit erheblichem Material- und einem Kostenaufwand zu erreichen. Und dann sind wir wieder beim Geld: In der Summe übersteigt das die oben erwähnten Preise um ein Vielfaches.
Trotzdem: Amp-Modeler wie beispielsweise das Eleven Rack von Avid in der Preisklasse bis ca. 700 Euro versprechen ebenfalls vollständig prozessierte Signalpfade. Die Mehrkosten für das Amp-Modeling aus Kemper Profiler und Axe-Fx II XL können also nur dann gerechtfertigt sein, wenn die Soundqualität keinen Kompromiss in Relation zum echten Röhrenamp und hochwertigen Effektspezialisten darstellt.
Nichts anderes kann in dieser Preisklasse die Messlatte sein. Darüber hinaus ist natürlich auch interessant, was die Geräte neben der reinen Emulation roher Ampsounds noch alles zu bieten haben.
Referenzgruppe und Testziele
Primär sollen im Folgenden der Kemper Profiling Amp und das Fractal Audio Axe-Fx II XL gegenübergestellt werden. Vor- und Nachteile zueinander, wie auch Gemeinsamkeiten und Unterschiede werden aufgezeigt. Ein Koch Studiotone Röhrenamp steht als Referenz zur Einschätzung der emulierten Soundgüte beider Probanden bereit.
Ebenso ein Eleven Rack von AVID, welches im Vergleich Aufschluss darüber geben soll, wie das Preis-/Leistungsverhältnis der beiden Probanden einzuschätzen ist.
Lineare & Non-Lineare Bestandteile des Klangs
Ein Gitarrensound besteht, vereinfacht gesagt, aus zwei Arten von Ereignissen: den linearen und den non-linearen.
Lineare Ereignisse sind dynamisch unabhängig und repräsentieren die „Klangfarbe“, gewissermaßen die abgebildete Frequenzkurve eines Sounds. Dazu gehören EQ-Einstellungen, die Klangfarbe des Gitarrenlautsprechers bzw. der Box, des verwendeten Mikrofons und die klangliche Auswirkung der Mikrofonpositionierung.
Zu den non-linearen Ereignissen fallen im Gegensatz dazu dynamische Eigenschaften der Verstärkung, die Gain-Struktur (Verzerrung), Endstufensättigung (Komprimierung) und so weiter.
Zwei Technologien, ein Ziel: Authentizität
Während der Einsatzzweck für beide Geräte relativ deckungsgleich ist, so unterscheidet sich die verwendete Technologie, um realistische Amp-Sounds zu reproduzieren.
Profiling
Der Kemper Profiler trägt seinen Namen zu Recht. Er ist – entgegen der sonst anzutreffenden Technologie – kein Modeler im engsten Sinn. Der Amp-Sound wird aus der Messung des Signalpfades einer realen Klangkette generiert. Diese besteht in der Regel aus Preamp -> Poweramp -> Gitarrenbox -> Mikrofon.
Zur Messung gibt der Profiler diverse Testsignale aus, mit welchen der Eingang des Gitarrenverstärkers gespeist wird. Diese durchlaufen die Signalkette, die mit der Mikrofonabnahme der Gitarrenbox endet, und wird abschließend wieder in den Profiler rückgeführt.
Der Profiler kann den Sound eines Gitarrenverstärkers archivieren
Der Kemper Profiler misst die linearen und non-linearen Eigenschaften eines realen Ampsounds, so wie ihn ein Mikrofon vor der Box als letztes Glied der Signalkette „hört“. Ein sogenanntes „Profil“ ist wie ein „Fingerabdruck“ des eingestellten und mikrofonierten Ampsounds. Dieser Fingerabdruck kann als replizierter Sound über den Profiler gespielt werden.
Somit bildet ein Profil des Kempers keinen Gitarrenverstärker ab, sondern eine „Kopie“ dessen (bei Messung eingestellten) „Sounds“, genauer: Den resultierenden Sound der oben erwähnten Signalstrecke. Diese offene Struktur bietet die Möglichkeit, theoretisch unendlich viele Ampsounds mit dem Profiler einzufangen.
Ab Werk kommt das Gerät mit knapp 300 Profilen, die ein breites klangliches Spektrum abdecken. Weitere können selbst angefertigt werden, vom eigenen Setup beispielsweise. Die Speicherkapazität durchbricht die 1000er Marke und kann per USB-Stick nochmals erweitert werden. Der profilierte Fingerabdruck eines Sounds kann nachträglich verändert werden, ebenso die mitprofilierte mikrofonierte Gitarrenbox ausgetauscht bzw. abgeschaltet werden.
Amp-Modeling
Das Axe-Fx II zählt, wie auch alle anderen bekannten digitalen Amp-Simulatoren technologisch zur Klasse der Amp-Modeler. Bei diesem Gerät wird die Verstärker-Schaltung bis auf Bauteileebene digital nachgebildet, diese bestimmte die Spezifika eines bestimmten Verstärkersounds. Je genauer, detailreicher und umfassender die Eigenschaften einer realen Verstärkerschaltung durch digitale Algorithmen beschrieben sind, desto authentischer sollten der Sound und das Verhalten der bedienbaren Parameter dem Vorbild des realen Verstärkers entsprechen.
Beim Amp-Modeling wird der Sound digital emuliert
Laut Hersteller sind selbst sogenannte parasitäre Einflüsse berücksichtigt, die durch die Interaktion einzelner (digital umschriebener) Bauteile auftreten. Die aktuelle Firmware bietet 188 Amp-Simulationen und liest sich fast wie eine Gitarrenverstärker-Enzyklopädie der letzten 60 Jahre. Von vielen Amps wurde jeder Kanal, jeder Eingang mit einer eigenen Simulation bedacht. Bei den Simulationen für Plexi steht zusätzlich noch die beliebte „jumpered“-Konfiguration mit individuellen Gain-Reglern für beide Eingänge bereit.
Die Parametervielfalt lässt die individuelle Anpassung an eigene Vorstellungen bis zu einem Grad zu, der über das hinausgeht, was in der realen Welt unter „Amp Modding“ verstanden wird.
Gitarrenverstärker und -lautsprecher werden hier unterschiedlich behandelt: Lautsprecher werden mithilfe der Impulse-Response (IR) Technologie nachgebildet – also der „Messung“ real mikrofonierter Gitarrenboxen. Ähnlich wie beim Profiler kann das Axe-Fx II XL den Sound linearer Ereignisse (wie eben den einer mikrofonierten Gitarrenbox) per Testsignal „messen“ und abspeichern.
Unterschied zwischen Kemper Profiler & Axe FX II
In wenigen Worten zusammengefasst: Der Profiler misst und reproduziert den Sound eines mikrofonierten Gitarrenamps. Das Axe-Fx II XL hingegen modelliert (berechnet) die Eigenschaften realer Gitarrenamps und komplettiert die Signalkette mit dem gemessenen Sound einer mikrofonierten Box via IR.
Den zweiten Teil unserer Gegenüberstellung mit allen Details zu den Kontrahenten findest Du im nachfolgenden Artikel.
Exkurs: Speaker Simulator
Ein analoger Speaker Simulator wie der Palmer PDI03 dient als Ergänzung oder gar als komplette Alternative zu einem Amp-Modeler – sofern Du eine Gitarrenbox nur simulieren und nicht aufwändig mikrofonieren willst. Dank Thru-Ausgang kannst Du aber auch beides parallel machen.
Gitarrenverstärker ohne einen Regler für das Master-Volumen können einfach mit voller Endstufenverzerrung gefahren werden und trotzdem bleibt der Sound leise. Dein Nachbar wird es dir danken.
Bei unserem Beispiel handelt es sich um ein Gerät für 19″-Racks, das direkt an den Verstärkerausgang angeschlossen wird; Varianten mit Lastimpedanzen von 2, 4, 8 und 16 Ohm stehen zur Verfügung. Dann wird das Signal bei Bedarf durch die Lautsprechersimulation geschickt und schließlich mit Line-Pegel (Klinke oder symmetrisch via XLR) ausgegeben. Für Mischpulte, PA-Anlagen, Recorder, Audio Interfaces oder Bandmaschinen.
Die Klangcharakteristika eines offenen 2×12″-Comboverstärkers und einer geschlossenen 4×12″-Box können nachgebildet werden. Zudem findet sich ein 3-Wege-Schalter zur Regulierung der Klangfarbe – »Bright« für Klarheit und Durchsetzungskraft, »Normal« für mehr Biss in den oberen Mitten (britischer Sound) und »Mellow« für den weichen Sound nach amerikanischer Art.
Zu guter Letzt kannst Du über vier Line-Ausgänge den ungefilterten, ursprünglichen Klang ausgeben, um externe Effektgeräte zu speisen.
Weitere Informationen findest Du hier: Palmer PDI03 Testbericht.