M/S-Stereofonie bearbeiten & FAQ
Von Felix Baarß
Was ist M/S-Stereofonie?
Ein Stereosignal besteht aus zwei Kanälen zur Wiedergabe über links und rechts vor dir stehende Lautsprecher bzw. die Ohrmuscheln eines Kopfhörers.
Weitaus weniger bekannt ist dies: Du kannst Stereosound in seine Mitten- und Seitenanteile (Details s.u.) splitten, um diese Signale separat in der Lautstärke zu justieren. Oder – und das ist oft noch viel gewinnbringender – mit EQs, Kompressoren & Co. zu bearbeiten.
Man spricht von der M/S-Stereofonie bzw. Mid/Side-Stereofonie. Die gezielte Beeinflussung der einzelnen Komponenten beim Mixing und (Pre-)Mastering wird folglich M/S-Bearbeitung (englisch: »mid/side proccessing«) oder Mitten-/Seitenbearbeitung genannt.
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Wozu M/S-Stereofonie bearbeiten?
- Stereobreite des Gesamtmixes erhöhen
- Bestimmte Instrumente im Mix mehr in den Vordergrund rücken
- Bestimmten Instrumenten im Mix »Luft zum Atmen« verschaffen
Woraus setzt sich die M/S-Stereofonie zusammen?
Mitte: Die deckungsgleichen Signalanteile, die gleichzeitig im linken und im rechten Kanal erklingen typischerweise Monosignale wie Tonaufnahmen eines einzelnen Mikrofons, die anschließend nicht nach links oder rechts gepannt bzw. durch Effekte im Stereobild modifiziert werden – z.B. Kick Drum, E-Bass, Lead Vocal
Seite: Die Summe der Signalanteile, die zu einem bestimmten Zeitpunkt jeweils nur im linken oder im rechten Kanal erklingen Gesamtsignal minus Mittenanteil – z.B. die »seitlichen Ausläufer« von Becken oder Hihat
Oft finden sich die Bezeichnungen »Monoanteil« für die Mitte und »Stereoanteil« für die Seite – der intuitive Klangeindruck dieser Signalanteile lässt eine derartige Vereinfachung legitim erscheinen.
Ursprung und Zweck der M/S-Stereofonie
Das Konzept der Mid/Side-Stereofonie stammt von einer Technik der Mikrofonierung, die Alan Dower Blumlein anno 1934 entwickelte. Damit gelang es ihm, dem räumlichen Hören Rechnung zu tragen, noch bevor sich die Stereoproduktion und -wiedergabe von Musik durchsetzte.
Der grundsätzliche Aufbau bei diesem »M/S-Stereo-Mikrofon« besteht aus einem Mikro mit Nierencharakteristik für das Mittensignal und einem mit Achtercharakteristik für das Seitensignal – Letzteres funktioniert wie die Ohren eines Menschen, die die Schallquelle aus unterschiedlichen Richtungen bzw. Entfernungen aufschnappen. Durch die damit verbundenen Pegelunterschiede und Laufzeitunterschiede wird eine Ortung im Raum möglich.
Wenn dem monofon belassenen Klang des Nierenmikrofons die zwei modifizierten Signale des Achtermikros (siehe Abbildung) hinzugemischt werden, kommt mehr Räumlichkeit ins Spiel. Insbesondere bei Drum-Sounds glänzt diese Mikrofonierungstechnik als Alternative zur X/Y-Stereofonie.
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Signalanteile der M/S-Stereofonie bearbeiten
Was machst Du, wenn Du noch keine getrennten Signale hast, wie sie etwa bei der geschilderten M/S-Mikrofonierung entstehen? Gute Nachricht: Spätestens nach ein paar Handgriffen in der DAW und mit zwei Instanzen eines kostenlosen Plugins kannst Du loslegen.
Methode I: Interne M/S-Bearbeitung von Plugins
Immer mehr Plugins bieten von Haus aus die Möglichkeit, ausschließlich das Mitten- oder Seitensignal zu bearbeiten. Allen voran seien EQs genannt, zum Beispiel die meisten aus unserem Artikel »Die besten Equalizer Plugins« – stellenweise kannst Du sogar für jedes Band separat entweder M/S oder L/R einstellen. Auch viele gute Kompressoren taugen heute zur Bearbeitung der M/S-Stereofonie. Anwendungsbeispiele für beide Effekttypen findest Du im nächsten Abschnitt.
Software & Hardware mit M/S-Stereofonie
Methode II: Plugins zur Spaltung in Mitten- und Seitenanteile
Es gibt diverse kostenlose Plugins, die eine M/S-Bearbeitung sehr einfach machen, etwa die fünf weiter unten aufgeführten Helferlein. Erstelle in deiner DAW zwei neue Spuren und speise sie jeweils mit dem Signal der Stereospur, die die zu bearbeitenden Klänge enthält. Auf beiden Spuren bindest Du je eine Instanz des M/S-Helfer-Plugins deiner Wahl als Insert-Effekt ein. Stell sie so ein, dass die eine Instanz das Seitensignal und die andere das Mittensignal stummschaltet.
Es gibt noch eine dritte Methode, die allein mit DAW-Bordmitteln funktioniert (Routing, Panning, Phasenauslöschung aka Polaritätsumkehr). Allerdings werden sehr viele zusätzliche Spuren benötigt und das Routing ist komplex.
Methode II ↑ ist um ein Vielfaches komfortabler und übersichtlicher – da entsprechende Plugins sowohl für Windows als auch Mac OS sowie fast alle Schnittstellen von VST bis AAX erhältlich sind, steht dem nichts im Wege. Vielleicht gibt es ja sogar ein Plugin für abenteuerlustige Produzenten, die Linux nutzen. ;)
Beispiele: Mid/Side Processing – Mixing & Mastering
Einige Praktiken zur Bearbeitung der M/S-Stereofonie haben sich bewährt, ob beim Mixdown oder Mastering. Die wichtigsten findest Du hier:
Drums – Trommeln und Becken ausbalancieren
Falls Du Drums in Stereo per Overhead-Mikrofonpaar abgenommen hast, macht ein Boost des Seitensignals die Becken und Hihats präsenter. Umgekehrt rückt eine Verstärkung des Mittensignals die Snares und Toms in den Vordergrund.
Gitarren – Mehr räumliche Präsenz bei Chorus & Co.
Arbeitest Du mit mehreren Gitarrenparts? Dann route sie alle auf eine gemeinsame Spur und splitte diese wiederum in M/S-Signale auf (z.B. per Methode II ↑). Automatisiere das Seitensignal so, dass es beim Chorus oder anderen Songabschnitten lauter wird. So werden die Gitarren lebhafter und präsenter im Stereobild.
Diverse Instrumente – Stereobild auffrischen
Ein Boost der hohen Frequenzen mit einem EQ, der nur das Seitensignal betrifft, führt zu einem »frischeren« Stereobild. Der Mittenanteil wird dabei nicht unnötig »heller« durch zusätzliche Höhen. Als Filtertypen bieten sich High-Shelf (Kuhschwanzfilter) oder Baxandall an. Generell eignen sich alle Filterarten mit flachen, weitläufigen Flanken bestens, da sie für einen natürlicheren Sound sorgen.
Master-Bus – Kompression mit Mittenfokus
Wenn Du beim Einsatz deines Mastering-Kompressors das Gefühl hast, dass das Stereobild eingeengt wird, lohnt es sich, in stärkerem Maße (oder ausschließlich) den Mittenanteil zu komprimieren.
Master-Bus – Transparenter Reverb
Bei einem Hall auf dem Gesamtmix lohnt sich differenziertes Vorgehen: Beschneide die Bässe des Hallanteils (nur Wet) im Mittensignal mit einem Hochpassfilter, damit die Hallfahnen von Kick, Bass & Co. nicht den ganzen Mix zudecken. Auf dem Seitensignal kannst Du hingegen einen ungefilterten Hall verwenden, der auch gern ein paar Prozent lauter sein darf.
Faustregel: Bass in die Mitte!
In praktisch allen Musikstücken mit klassischer Band-Instrumentierung und fast ebenso vielen Tracks anderer Genres sitzen die Bässe hauptsächlich in der Mitte. Dafür gibt es gute Gründe: Zum einen lassen sich tiefe Töne sehr schwer im Raum lokalisieren, es ist also ohnehin fast zwecklos, sie zu »verstreuen«. Andererseits kann die Nadel eines Plattenspielers aus der Rille springen, wenn der Bass des darauf gepressten Musikstücks stark links- oder rechtslastig ist.
Generell fährst Du gut damit, den Bass auf einen mehr oder minder eng gefassten Bereich des Stereopanoramas zu beschränken. Diese Trennschärfe führt meist zu einer deutlich höheren Transparenz des Mixes.
Ein guter Startpunkt, um den Bass weitgehend auf die Mitte zu beschränken: Setze einen Hochpassfilter mit der Grenzfrequenz von etwa 600 Hz auf das Seitensignal und experimentiere anschließend mit der Flankensteilheit und/oder der Frequenz.
Kostenlose Plugins – M/S-Stereofonie bearbeiten
Es gibt eine Reihe von Free VST Plugins, mit denen sich die Mitten- und Seitenanteile separat verstärken oder abschwächen lassen…und oft finden sich weitere Goodies zur Bearbeitung des Raumeindrucks. Hier sind die besten Werkzeuge im Kurzportrait und anschließend die Download-Links:
Voxengo MSED | | VST, AU
Das einfachste Plugin seiner Art mit allen nötigen Reglern und Schaltern, mittlerweile sogar mit Goniometer (Visualisierung des Stereobilds). Die Benutzeroberfläche ist übersichtlich. Und kompakt – zumindest in ihrer Normalgröße, denn sie lässt sich skalieren.
Wie bei allen Effekten des Herstellers finden sich Funktionen zum Rückgängigmachen/Wiederherstellen von Einstellungen und eine A/B-Vergleichsmöglichkeit. Alle Sample-Raten werden unterstützt und die Verarbeitung geschieht ohne Latenz.
Flux Stereo Tool V3 | | VST, AU, AAX
Besonders auffällig bei diesem modernen Klassiker: Ein Goniometer stellt das Stereobild graphisch dar. Weiterhin sind Pegelanzeigen an Bord, sowohl für das Input- als auch für das Output-Signal. Praktischerweise stehen zwei separate Einstellungssätze (A und B) zur Verfügung, die Du sogar stufenlos überblenden kannst – klasse.
Außerdem findet sich ein Korrelationsgradmesser (etwa zur Überprüfung der Monokompatibilität). Es handelt sich übrigens um eines der sehr rar gesäten Plugins, die per OSC (Open Sound Control) angesteuert werden können.
HOFA 4U Meter, Fader & MS-Pan | | VST3, AU, AAX, RTAS
Ein großer Lautstärkefader und eine Pegelanzeige dominieren dieses Plugin. Vor der Bearbeitung durch den Fader kannst Du den linken und rechten Kanal separat einpegeln (-∞ bis +24 dB); im M/S-Modus werden stattdessen die Mitten- und Seitenanteile bearbeitet.
Weiterhin interessant: Die Eingangssignale können stufenlos über das einfache Links-/Rechts-Panning hinaus ins Seitensignal verschoben werden – ein schöner bedientechnischer Kniff für ein breiteres Stereobild oder generell Änderungen in der räumlichen Anmutung des Sounds.
Sleepy-Time DSP StereoChannel | | VST
Schicke VU-Meter zieren dieses Plugin. Komfortabel zeigt sich die Knopfleiste zum separaten Stummschalten von Links und Rechts sowie Mitte und Seite.
Die Schieberegler nutzt Du zum schnellen Abschmecken des Stereobilds – für die Links/Rechts- bzw. Mitten/Seiten-Balance. Wie beim Tool von Flux ist hier ein Stereo-Korrelationsgradmesser an Bord.
WOK MSC-01 | | VST
Spartanisch in der Aufmachung, aber gut bestückt. Bemerkenswert ist, dass am Ende der Signalkette noch ein Mono-Schalter und ein finaler Panning-Regler zur Verfügung stehen.
Außerdem lassen sich Mitte und Seite separat im Millisekundenbereich verzögern – das ist exotisch und eher selten sinnvoll einsetzbar, aber auch ohne diesen Bonus ist der Funktionsreichtum sehr hoch; Metering oder Visualisierung fehlen indes.
Voxengo MSED Download
Flux Stereo Tool V3 Download
HOFA 4U Meter, Fader & MS-Pan Download
Sleep-Time DSP StereoChannel Download [Mirror, Direktlink]
WOK MSC-01 Download [Mirror]
Einige DAWs bieten von Haus aus Werkzeuge für die M/S-Stereofonie. So findest Du im Lieferumfang von Ableton Live das Plugin »Mid Side Processor« oder bei Reaper die Plugins »Mid/Side Encoder« und »Mid/Side Decoder«. Wenn Du noch mehr Helferlein aus anderen DAWs parat hast, freuen wir uns sehr über eine Nennung im Kommentarbereich unter diesem Artikel.
Fazit zur M/S-Stereofonie
Die M/S-Stereofonie ermöglicht gezielte Eingriffe ins Stereobild, insbesondere in Form von EQs und Dynamikeffekten, die nur auf dem Mitten- oder Seitensignal wirken. Doch schon die Pegeljustierung dieser beiden Signalkomponenten ist aus dem modernen Mixing und Mastering nicht mehr wegzudenken.
Mithilfe von kostenlosen Plugins kannst Du alle gewöhnlichen Stereosignale sehr einfach in ihre M/S-Anteile splitten (und wieder zu L/R konvertieren). Daher ist es im Tonstudio nicht unbedingt nötig, die von Alan Blumlein entwickelte Mikrofonierungsmethode zu verfolgen, die die Geburtsstunde der M/S-Stereofonie markierte. Passende neue Mikrofone kaufen müsstest Du demzufolge auch nicht.
Hast Du Fragen, Anmerkungen oder Korrekturvorschläge nach dem Schmökern dieses Artikels? Wir sind sehr gespannt auf dein Feedback!