Was ist eine Hüllkurve?
Von Felix Baarß am 13. September 2016
Die Hüllkurve erklärt
Worum handelt es sich eigentlich bei dieser ominösen Hüllkurve? Wo, wie und zu welchem Zweck wird sie in der Musikproduktion eingesetzt? Hier erfährst Du alle Aspekte dieses Werkzeugs zur Klangformung bei Synthesizern, Samplern & Co. – die Hüllkurve (englisch »envelope«).
Der zweite große Modulator: Was ist ein LFO? »
Gerade in den Produktbeschreibungen von Synthesizern, ob Hardware oder Software, findest Du häufig den Begriff der Hüllkurve. Was sich hinter den unten abgebildeten vier Reglern genau verbirgt, erfährst Du gleich im Anschluss. Außerdem hörst Du Beispiele für die zwei typischsten Einsatzgebiete der Hüllkurve – die Skulpturierung des Lautstärke- und des Filterverlaufs bei einem Klang. Und mehr – los geht’s …
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Der Hüllkurvengenerator / envelope generator
An Hard- oder Software, die mindestens eine Hüllkurve zur Verfügung stellt, findet sich meist ein Bereich mit Reglern zur Gestaltung dieser Hüllkurve. Die elektronische Schaltung oder der Code, der dahintersteckt, wird als Hüllkurvengenerator bezeichnet (»enveloge generator«, oft mit »EG« abgekürzt).
Aufbau einer Hüllkurve
Erst wollen wir uns anschauen, aus welchen Bestandteilen eine Hüllkurve besteht. Es gibt mehrere Arten, doch zur Verdeutlichung der Wirkungsweise betrachten wir in diesem Artikel zunächst die sogenannte ADSR-Hüllkurve – die typischste Vertreterin ihrer Gattung und ihre vier Parameter. Voilà:
Der Konvention entsprechend wird bei der graphischen Darstellung einer Hüllkurve die Zeit auf die x-Achse gesetzt. Auf der y-Achse wird der Wert eines Parameters von seinem Minimum bis zum Maximum dargestellt.
- A = Attack
- D = Decay
- S = Sustain
- R = Release
Attack – Bestimmt, wie lange es dauern soll, bis der steigende Wert eines Parameters das Maximum erreicht. Wie oben erwähnt, wird dann mit jeder beginnenden MIDI-Note eine neue Hüllkurve auf den jeweils gespielten Klang gelegt.
Decay – Bestimmt, wie lange es dauern soll, bis der fallende Wert eines Parameters das Niveau des Sustains (siehe nächster Punkt) erreicht.
Sustain – Bestimmt das Niveau eines Parameterwerts, das solange konstant bleibt, bis die MIDI-Note endet bzw. die Taste auf deinem MIDI-Keyboard losgelassen wird. Merke: Im Gegensatz zu Attack, Decay und Release handelt es sich beim Sustain nicht um eine Zeitangabe, sondern um eine Angabe der Parameterstärke, irgendwo zwischen Mini- und Maximum.
Release – Bestimmt, wie lange es dauern soll, bis der fallende Wert eines Parameters das Minimum erreicht. Die Release-Phase beginnt, sobald die Taste losgelassen wird bzw. die MIDI-Note im Sequenzer endet.
In der Regel wird stets eine neue Hüllkurve aktiviert, sobald eine einzelne MIDI-Note im Sequenzer deiner Musiksoftware abgespielt bzw. eine Taste auf deinem MIDI-Keyboard oder sonstigen MIDI-Noten-Erzeugern betätigt wird.
Lautstärkenhüllkurve / amp envelope
Zu den gebräuchlichsten Parametern, die mithilfe einer Hüllkurve ausgestaltet werden, gehört schlicht und einfach die Lautstärke eines Signals. In der Klangsynthese kannst Du damit aus einem gleichförmig fließenden Klang einen Sound mit einer gewissen Kontur modellieren. So erhält er einen mehr oder minder perkussiven Charakter, zum Beispiel wie bei einem ein kurzen, knackigen Anschlag einer Trommel.
Es folgt ein einfaches Beispiel. Zunächst hörst Du einen in der Lautstärke (und allen übrigen Syntheseparametern) annähernd gleichbleibenden Sound:
Nun legen wir eine Lautstärkenhüllkurve, für welche ich die unten abgebildete Form gewählt habe, über den Sound:
Automationskurve vs. Hüllkurvengenerator
Für das Klangbeispiel habe ich mit der Automationsspur meiner DAW-Software eine Hüllkurve für die Lautstärke erstellt, die völlig unabhängig von den erwähnten Start- und Endpunkten der MIDI-Noten wirkt und wesentlich freier gestaltet werden konnte als mit dem Hüllkurvengenerator des verwendeten virtuellen Synthesizers.
Lies auch: Lead-Sound mit Synthesizer erstellen
Andererseits ist eine fest mit den Noten verknüpfte, automatische Generierung der Hüllkurven meist viel praktischer. Das kann gar nicht stark genug betont werden, denn spätestens bei der Performance auf der Bühne ist es überhaupt die einzige Möglichkeit, live gespielte Klänge einheitlich zu skulpturieren. Und auf dieser Basis kann vergnüglich an den Potis eines MIDI-Controllers geschraubt werden, um den Sound noch weiter zu modulieren.
Filterhüllkurve
Das Cutoff (die Grenzfrequenz eines Filters) stellt neben der Lautstärke wohl den Parameter dar, der am meisten von einer Hüllkurve profitieren kann. Der Sound eines Synthesizers oder sonstigen Klangerzeugers wird oft erst dann interessant, wenn eine Filterhüllkurve appliziert wird.
Anhand des klassischen Beispiels eines Synthesizerklangs möchte ich die Wirkung einer Filterhüllkurve verdeutlichen, wobei ich einen Tiefpassfilter verwende. Zunächst der schon für die Lautstärkenhüllkurve zum Einsatz kommende Ursprungsklang:
Und nun der Sound mit applizierter Filterhüllkurve:
Auch lohnt es sich, die Resonanz des Filters zu modulieren, sofern dir noch eine weitere Hüllkurve zur Verfügung steht bzw. wenn sich die für das Cutoff genutzte gleichzeitig auf die Resonanz applizieren lässt. In Kombination mit einer Lautstärkenhüllkurve kannst Du dem Sound noch weiteren Feinschliff verpassen.
Bei einigen Hüllkurvengeneratoren steht ein Schalter zur Invertierung, also zur Umkehrung der Hüllkurve zur Verfügung. Bei der Invertierung wird die Kurve um die Achse, die bei 50% des Modulationswerts liegt, gespiegelt. Weil’s so schön war, ziehe ich einfach wieder die oben verwendete Filterhüllkurve zur Verdeutlichung heran, nur eben in invertierter Form:
Fortgeschrittene Parameter einer Hüllkurve
1. Intensität
Ungeheuer praktisch für das Sounddesign: Zusätzlich zu den ADSR-Parametern bieten manche Synthies einen Regler, mit dem Du die Intensität der Hüllkurve stufenlos verstellen kannst. Damit wird bestimmt, in welcher Stärke die Modulation überhaupt greifen soll. Um das zu verdeutlichen, habe ich unserer Beispielkurve aus dem Kapitel zum Aufbau einer Hüllkurve zwei Variationen derselben gegenübergestellt:
Typische Bezeichnungen für einen solchen Regler lauten etwa »envelope depth«, »envelope amount« oder einfach »envelope generator«; alternativ sind die entsprechenden Kürzel »ENV DEPTH«, »ENV AMT« oder »EG« zu finden.
2. Looping
Für gewöhnlich werden Hüllkurven pro angefangener MIDI-Note nur ein einziges Mal abgefeuert. Es gibt jedoch auch Hüllkurvengeneratoren mit der Möglichkeit, die Hüllkurve in einer Schleife immer und immer wieder von vorn abzuspielen, solange die MIDI-Note anhält. Geloopt eben. In diesem Modus wird die Sustain-Phase übersprungen, sonst würde der Generator ja gar nicht bis zum Endpunkt gelangen, um wieder an den Anfang springen zu können.
Somit wird eine Hüllkurve zu einem LFO, bei dem Du die Wellenform zu einem gewissen Grad selbst formen kannst. Aber LFOs, diese unablässig schwingenden Modulatoren, sind ein Thema für sich, was wir vielleicht auch bald in einer Artikelreihe wie dieser beleuchten werden. Stay tuned!
3. Kurvenform
Die zwei oben abgebildeten Kurvendarstellungen verdeutlichen, dass es beileibe nicht nur die schnurgeraden Verbindungslinien für Attack, Decay und Release gibt. Je nach Instrument oder Effekt werden die Kurven bereits mehr oder minder geschwungen erzeugt bzw. können auf Wunsch derart verbogen werden. Hier ist eine entsprechende Abwandlung unserer allerersten Hüllkurve mit denselben Werten für A, D, S und R, jedoch mit fröhlich geschwungenen Kurven:
envelope follower / Hüllkurvenfolger
Wir verlassen den Bereich der klassischen Hüllkurvengeneratoren mit ihren Reglern für Attack & Co., doch es lohnt sich, über den Tellerrand zu schauen, schließlich soll die Thematik der Hüllkurven in allen Facetten betrachtet werden. Eine listige Methode stellt der sogenannte envelope follower dar – die deutsche Übersetzung »Hüllkurvenfolger« ist sperrig und wird im Allgemeinen verschmäht, also habe ich sie in der Überschrift dieses Abschnitts auch erst an zweiter Stelle genannt.
Ein envelope follower analysiert die Amplitude, also den Lautstärkenverlauf des eingespeisten Signals. Im zweiten Schritt bewirkt der ausgelesene Amplitudenausschlag eine entsprechende Parametermodulation – je größer die Amplitude, desto stärker wird ein Parameterwert moduliert.
Insbesondere bei Filtern sind envelope follower zu entdecken – je lauter der Pegel des Eingangssignals ausschlägt, desto stärker wird das Cutoff des Filters moduliert. Diese Verknüpfung ist zumindest in meinen Ohren eine der musikalisch sinnvollsten für einen envelope follower.
Ein Beispiel wird das illustrieren. Zunächst der unbearbeitete Sound:
Nun jener, den ich mit dem kostenlos für Windows erhältlichen Filter Plugin Phuturetone Philteroid und dessen envelope follower bearbeitete habe:
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