Was ist Gain Staging?
Pegelmanagement in einfachen Worten
Von Felix Baarß
Inhalt
1. Gain Staging – was ist es und wozu dient es?
Dieses Verfahren beschreibt das Pegelmanagement aller Kanäle über den gesamten Prozess des Abmischens hinweg. Es geht darum, jede Spur mit einem jeweils angemessenen Pegel (Details dazu in Abschnitt 2) von einer Ebene zur nächsten zu leiten.
So beschreiten wir den Pfad von der Einzelspur (und darin eingekapselt auch zwischen einzelnen Effekt-Plugins) möglicherweise über einen Bus bis hin zur Master-Spur als Sammelbecken aller Einzelkanäle bzw. Busse.
Was ist der hauptsächliche Nutzen? Ein besserer Klang und genug Pegelreserven. Hier sind die Vorteile im Einzelnen:
PASSEND DAZU
- Noiseworks GainAim Test: Automatisierter Pegel leicht gemacht
- Gain & Volumen: Der Unterschied
- 5 Schritte zu besser klingenden Drums
- Headroom: Alles zur Aussteuerungsreserve
- Was ist Clipping?
Vorteile durch Gain Staging:
- Allgemein ein besseres, sauberer klingendes Endergebnis
- Spuren hinzufügen ohne Sorge um den Gesamtpegel
- Fader von Einzelspuren anheben ohne Sorge um den Gesamtpegel
- Effekte nutzen ohne Sorge um den Gesamtpegel
- Die optimale klangliche Wirkung einiger Plugins entfalten lassen
- Eine saubere Grundlage für das anschließende Mastering schaffen
Gleich vorweg: Die leiseren Mischungen, die durch das Gain Staging entstehen, kannst Du einfach mit stärker aufgedrehten Lautsprechern und Kopfhörern abhören. Nur keine Scheu. :)
2. Wie hoch sollte der Pegel sein?
Was ist beim Gain Staging mit einem »angemessen« Pegel gemeint? Zunächst sollten zwei wichtige Grundsätze stets befolgt werden:
Ein hoher Signal-Rausch-Abstand ist wichtig, der gewünschte Klang (quasi das »Nutzsignal«) sollte das Hintergrundrauschen also stets deutlich überdecken. Das ist mit fast jedem Equipment möglich, selbst bei relativ niedrigen Pegeln.
Auch bei der Aufnahme von Instrumenten und Mikrofonen musst Du nicht so pingelig sein, stets haarscharf unter der Übersteuerungsgrenze von 0 dBFS zu bleiben – spätestens beim Recording mit 24 Bit ist mit Pegeln zwischen -20 und -10 dBFS immer noch ein sehr hoher Signal-Rausch-Abstand gegeben.
Andererseits sollte genug Headroom (»Luft nach oben«) gelassen werden. So treten keine Übersteuerungen auf bei…
- der Summierung von Einzelkanälen auf einem Bus/der Master-Spur,
- Effekten, die den Pegel erhöhen sowie
- der Konvertierung des exportierten Musikstückes in Formate wie MP3.
In der Regel sind -10 dBFS als Pegelmaximum für die Einzelspuren ein guter Richtwert; gelegentliche Überschreitungen sind natürlich nicht dramatisch.
2.1. Übersteuerung – analog vs. digital
Bei analogem Equipment ist noch sehr viel Headroom gegeben, wenn die Pegelnadel des VU-Meters in den roten Bereich über ±0 dBVU schnellt. Über dem Nullpunkt hast Du meist noch einen Spielraum von rund 20 dB.
Und selbst wenn die Nadel (fast) bis zum Maximum ausschlägt, tritt in der Regel eine angenehme, »musikalisch« klingende Sättigung auf.
Dafür verantwortlich zeichnet das sogenannte »soft clipping« – ganz im Gegensatz zur digitalen Domäne, wo alle Informationen über 0 dBFS gnadenlos abgeschnitten werden (»hard clipping«).
Die harschen Verzerrungen, die hierbei entstehen, klingen sehr selten musikalisch und sind in der Regel unerwünscht.
2.2. Welcher Pegel wird eigentlich gemessen?
Zunächst musst Du in Erfahrung bringen, WAS die Pegelanzeigen deiner DAW-Mixerkanäle eigentlich darstellen bzw. inwieweit sie sich konfigurieren lassen. Womöglich zeigen sie nur den Pegel des Eingangssignals (vor den Insert-Effekten) und/oder das Signal vor der Beeinflussung durch den Pan-Regler.
Was wir zum Gain Staging brauchen, ist jedoch Folgendes:
Pegel NACH allen Insert-Effekten, NACH dem Pan-Regler und NACH der Beeinflussung durch den Fader der Mixerspur (»Post-Fader«)
Das dürfte bei den meisten DAWs die normale bzw. einzig verfügbare Anzeigeart sein, aber überprüfe das lieber in der Bedienungsanleitung.
3. Pegel zwischen seriell verschalteten Plugins
Obacht bei Insert-Effekten auf einer einzelnen Mixerspur. Dort liegt natürlich auch bei jedem Übergang von Plugin zu Plugin ein bestimmter Pegel an…schon wenn es sich nur um ein einziges virtuelles Instrument und dann einen einzigen Insert-Effekt handelt, kann der »Zwischenpegel« von hoher Bedeutung sein.
Der Fader einer Mixerspur kontrolliert in der Regel aber nur deren Ein- oder Ausgangspegel (siehe voriges Kapitel). So ist bei vielen Plugins ein erheblicher Aufwand nötig, um die erwähnten Zwischenpegel nicht übersteuern zu lassen oder so zu justieren, dass das jeweils nachfolgende Plugin wie gewünscht funktioniert.
3.1. Output einzelner Plugins überwachen
Zunächst schauen wir uns aber an, wie man die Zwischenpegel überhaupt messen kann:
- Interne Pegelanzeige eines Plugins
- Pegelanzeige der Mixerspur nach zwischenzeitlicher Deaktivierung aller nachfolgenden Insert-Effekte
- Plugins zur Pegelmessung – z.B. Sonalksis Free-G
Ableton Live ist meines Wissens die einzige DAW mit kleinen Pegelanzeigen zwischen den einzelnen Insert-Effekten. Prinzipiell ein großartiges Feature, doch die Balken sind leider so winzig und unbeschriftet, dass ein akkurates Gain Staging unmöglich oder zumindest sehr schwer wird – immerhin!
3.2. Pegelregelung für einzelne Plugins
Um den Ausgangspegel eines einzelnen Plugins anzupassen, eignet sich ein gegebenenfalls darin vorhandener Output-Regler. Doch längst nicht alle Plugins bieten einen solchen, was auch für die alternative Lösung (Input-Regler beim nachfolgenden Plugin) gilt. Hier schafft ein Plugin wie das oben verlinkte Sonalksis Free-G Abhilfe, wenn es in die Zwischenräume aller Insert-Effekte eingefügt wird – es bietet einen Pegelmesser, einen Fader und mehr.
Übrigens sind einige Plugins ohnehin für Eingangssignale mit recht niedrigen Pegeln ausgelegt, sonst klingen sie verzerrt oder sonstig unerwünscht. Das gilt besonders für Effekte, die analoges Equipment nachbilden.
4. Pegel mehrerer Spuren gleichzeitig regulieren
Hast Du schon ein gut ausbalanciertes Verhältnis der Einzelspurenlautstärken geschaffen, wobei die Pegel der lautesten Spuren aber höher sind als die empfohlenen -10 dBFS? Dann gilt es, eine der im Folgenden geschilderten Verfahren anzuwenden:
Variante I:
Selektiere alle Einzelspuren + ggf. alle Busse; meist funktioniert das per Umschalttaste (Shift), alternativ mit Strg bzw. Apfel-Taste beim Mac zum An-/Abwählen einzelner Spuren zu deiner Mehrfachselektion. Die genaue Bedienweise erfährst Du im Handbuch deiner DAW. Schiebe nun den Fader einer beliebigen selektierten Spur nach unten. Dabei bewegen sich auch alle anderen Fader nach unten – das geschieht zwar mit jeweils denselben Dezibelwerten, durch die logarithmische Skala aber dennoch im korrekten Verhältnis zueinander, so dass die Lautstärkeproportion gewahrt bleibt. Wenn das in deiner DAW nicht funktioniert, wendest Du die nächste Variante an…
Variante II:
Lege eine Spurengruppe an, die alle Einzelspuren + ggf. alle Busse beinhaltet. Auch hier hilft natürlich das Handbuch deiner DAW weiter. Eventuell besteht schon eine dynamische Gruppe, die alle Spuren in sich vereint – nutze diese. Wie bei Methode I genügt es nun, einen Fader von einer beliebigen Spur in der Gruppe zu verschieben.
5. Pegelanzeige konfigurieren
Bei einigen DAWs sind die Schwellenwerte für die unterschiedlichen Farbgebungen der Pegelbalken anpassbar – perfekt für Gain Staging aus dem Augenwinkel.
Bei Cubase können etwa neben den Farben sogar die Farbverläufe angepasst werden, falls gewünscht. Im Beispiel rechts sondert unsere Pegelanzeige schon bei Werten über -10 dBFS eine grellrote Warnfarbe ab, während alles zwischen -18 und -10 dBFS (wie eingangs geschildert unser Bereich der Wahl für das Gain Staging) gelb visualisiert wird:
Bei einer solchen Konfiguration sollten sich also die lautesten Kanäle deines Mixdowns hauptsächlich im gelben Bereich tummeln oder zumindest sporadisch in diese vorstoßen.
6. Aber meine Musik soll laut klingen!
Keine Sorge, ein konservativ eingepegelter Mix kann am Ende der Signalkette ja immer noch a) in der Gesamtlautstärke angehoben und b) per Limiter & Co. in der Lautheit verstärkt werden. Der Knackpunkt ist ja gerade, dass ein vernünftiges Gain Staging die nötigen Pegelreserven und damit die Grundlage für den finalen Boost schafft!
Es gibt übrigens noch eine Menge anderer Tricks für mehr Lautheit:
Mixing Tutorial: Den Mix lauter machen in 10 Schritten »
Zusammenfassung: Gain Staging
- Lass deine Spuren in der Regel nicht über -10 dBFS hinausschießen
- »Zwischenpegel« seriell verschalteter Plugins einer Spur beachten
- Mehrfachselektionen oder Gruppen zur proportionalen Lautstärkeregelung
- Benutzerdefinierte Dezibelwerte vereinfachen die Pegelüberwachung
- Studiomonitore oder Kopfhörer stärker aufdrehen, wenn’s zu leise ist!
Hast Du noch Tipps zum Gain Staging? Wir sind gespannt auf dein Feedback und wünschen indes viel Vergnügen!