Tonstudio vs. Homerecording
Von Carlos San Segundo
Tonstudio vs. Homerecording – Was ist der bessere Weg?
Seien wir ehrlich: Die Tontechnik ist heutzutage dermaßen kostengünstig geworden, dass es eine echte Versuchung ist, die eigene Musik nicht mehr in einem professionellem Tonstudio aufzunehmen, sondern einfach via Homerecording zuhause zu backen. Und das auch dann, wenn das dazugehörige Knowhow eigentlich noch gar nicht vorhanden ist. Auch die Tatsache, dass das Internet eine Menge Optionen zur Weiterbildung sowie Distribution der eigenen Musik an potenzielle Fans bietet, scheint in eine bestimmte Richtung zu deuten.
Aber ganz so einfach sollte man sich die Entscheidung gar nicht machen. Denn beide Lösungen haben ihre Vorteile, und auch ihre Schattenseiten. In diesem Artikel möchte ich diese mal gegenüberstellen und dir einige Kriterien an die Hand geben, um dir die Entscheidung zu erleichtern.
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Kriterien Tonstudio vs. Homerecording
1. Finanzieller Aufwand
Für mich sicherlich nicht das wichtigste Kriterium für eine Entscheidung, aber mit Sicherheit das am häufigsten von Bands und Musikern zitierte: Die Kosten, das benötigte Geld bzw. die Investition. Oft wird eine Milchmädchenrechnung aufgemacht und die Kosten für eine Soundkarte plus Studiomikrofon plus Musikprogramme mit den Kosten für einen Gang ins professionelle Studio gegengerechnet.
Es ist zum einen klar, dass es attraktiver erscheint, das Geld in das eigene Studio Equipment zu investieren. Doch die Rechnung sollte viel früher beginnen. Dazu kommen nämlich all die Stunden für die Recherche (was kaufe ich mir?), das Setup (es gibt immer irgendwelche Herausforderungen oder Probleme) und das Einlernen in die Tontechnik, Recording, Mixing und Mastering. Das alles erfordert eine Menge Zeit im Vorfeld, die auch zumindest anteilig angerechnet werden sollte.
Nicht zuletzt bedeutet der erforderliche Zeitaufwand im Vorfeld natürlich auch, dass die Produktion der Musik um einen unbestimmten Zeitpunkt nach hinten verschoben wird. Und nicht zuletzt sollte auch das finanzielle Risiko einer Fehlinvestition bedacht werden – im schlimmsten Fall muss das Album am Ende doch noch in einem Tonstudio aufgezeichnet werden.
2. Nachhaltigkeit
In der Betrachtung von Tonstudio vs. Homerecording können wir auch noch kurz beim Erlernen der notwendigen Skills bleiben. Was viel Zeit erfordert, bedeutet gleichermaßen eine Investition in die Zukunft. Du kannst dein erlerntes Knowhow nicht nur für deine aktuelle Produktion einsetzen, sondern auch für alle Aufnahmen danach.
Im Sinne der Nachhaltigkeit ist das Erlernen von neuen Skills im Rahmen von Homerecording natürlich besser. Nicht ganz außer Acht lassen sollte man, dass Knowhow auch sehr kompetent in einem professionellen Umfeld, also von einem Tontechniker erlernt werden kann.
3. Qualität
Die Nachhaltigkeit einer Produktion kann und sollte allerdings auch aus der Perspektive der Qualität betrachtet werden. So mag vielleicht das Knowhow sehr nachhaltig wirken, doch eine minderwertige (Klang-)Qualität eines Albums kann dafür sorgen, dass dies in der Gegenwart und Zukunft keinerlei Gewicht hat.
Anders gesprochen: Deine ersten selbst aufgenommenen und produzierten Werke werden einfach nicht an die Qualität einer professionellen Arbeit im Tonstudio herankommen können. Selbst wenn Du außerordentlich talentiert sein solltest, kannst Du die vielen Stunden Erfahrung der Experten nicht aufwiegen. Nicht nur, dass diese Leute eine handfeste Ausbildung zum Tontechniker absolviert haben, sie haben in vielen Fällen bereits mit so vielen unterschiedlichen Künstlern gearbeitet, dass auch hier von den unterschiedlichen Erfahrungen profitiert werden kann.
Wissenschaftler haben mal herausgefunden, dass Sportler etwa 10.000 Stunden benötigen, um Weltklasse in ihrer Sportart zu werden. Das entspricht etwa 10 Jahren bei 20 Stunden pro Woche. Die Frage, die Du dir stellen solltest, lautet: Wie viele Stunden wirst Du benötigen, um professionell arbeiten zu können?
Und bleiben wir noch etwas bei der Qualität der Ergebnisse: Wenn Du einen Musiker, einen Tontechniker und vielleicht noch den ein oder anderen musikalischen Menschen in ein Tonstudio zusammensetzt, dann wird das Ergebnis größer als die Summe aller Einzelteile.
4. Studio Equipment
Jetzt kann man sich vielleicht darüber streiten, wie wichtig das vorhandene Studio Equipment überhaupt für die Klangqualität einer Aufnahme sein mag. Unstrittig ist hingegen, dass ein professionell agierendes Tonstudio für alle Fälle gewappnet ist und vom Schlagzeug über die Gitarre bis hin zu exotischen Musikinstrumenten alles aufnehmen kann.
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Ein gutes Tonstudio ist zudem mit allen Arten von Adaptern ausgestattet, so dass das Anschließen mitgebrachter Hardware der Künstler keine Herausforderung darstellen wird. Außerdem kann sich ein Profi keine Ausfälle leisten, so dass er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein stabil laufendes System am Start haben wird.
Im Gegensatz dazu musst Du für ein Homerecording erst in vernünftiges Studio Equipment und Musikprogramme investieren. Um eine gewisse Qualität zu erreichen, wollen die Hersteller natürlich entsprechend viel Geld von dir sehen. Das Studio Equipment wird also voraussichtlich erst über die Jahre zusammenwachsen, nicht auf Anhieb vorhanden sein. Bis dahin solltest Du auch mit unstabilen Installationen und Software-Versionen rechnen, die den Workflow stören.
5. Perspektive
Wer alleine in seinen vier Wänden am eigenen Album arbeitet, kann schon einmal den Blick für das Wesentliche verlieren. Auch hier spielt die professionelle Lösung in einem Tonstudio ganz klar einen Vorteil aus. Selbst wenn kein Produzent gebucht wurde, hat der Toningenieur einen ganz eigenen, ungetrübten Blickwinkel auf deine Musik und kann eine frische Sicht auf deine Musik mitbringen.
Und das kann Gold wert sein.
Wir alle haben uns schon einmal selbstverliebt in irgendein Projekt verrannt, nur um am Ende einer langen Zeit zu hören: „Das ist Mist.“ Und hier bringt der Tontechniker durch seine Erfahrung und sein Knowhow eine natürliche Kontrollinstanz in die Gleichung, die dir zumindest eine Menge Zeit und kalte Ernüchterung ersparen kann.
6. Networking
Das Networking ist ein Punkt, der oftmals aus der Betrachtung Tonstudio vs. Homerecording herausfällt. Zu Unrecht, wie ich finde. Denn wer sich mal in einem Tonstudio bewegt hat, wird dort eine Menge anderer Musiker oder Produzenten kennengelernt haben. Sei es durch die Termine am Rande der eigenen Aufnahmen, weil man nach Feierabend noch ein Bier mit dem Besitzer trinkt oder weil sich andere Bekannte dort üblicherweise aufhalten.
Man kann nie wissen, was aus einem solchen Zufallskontakt entsteht oder wer die zündende Idee wie nebenbei von sich gibt.
7. Zeit
Wer sich mit dem Thema Homerecording überhaupt befasst, wird den Faktor Zeit sicherlich nicht ganz so hoch einschätzen wie derjenige, der nur sehr wenig Zeit zur Hand hat. Daher habe ich diesen Faktor relativ weit ans Ende gesetzt. Weiter oben habe ich bereits beschrieben, dass viele Arbeitsschritte als Laie noch gelernt werden müssen und eine Menge Fehler darauf warten, gemacht zu werden. Daher solltest Du fest damit rechnen, dass eine Produktion im eigenen Projektstudio deutlich länger andauern wird als eine im professionellen Umfeld, für das das Budget endlich ist.
Das Erstaunliche an Terminen im kreativen Umfeld ist, dass -gleich wie kurz die Zeit bemessen sein möge- am Ende immer ein fertiges Ergebnis dasteht. Die meisten Musiker und Produzenten werden durch das nahen der Deadline magisch beflügelt.
Anders herum werden viele Produktionen im heimischen Umfeld deswegen niemals fertig, weil keinerlei Druck durch Budget oder zeitliche Einschränkungen entstehen. Projekte werden dann immer wieder aufgegriffen und verändert – selten verbessert. Andererseits hast Du in den eigenen vier Wänden dein eigenes Tonstudio immer dann parat, wenn die Inspiration zuschlägt.
8. Fokus
Warum sind wir eigentlich alle miteinander hier gelandet? Ach, ja. Wir wollten unsere eigene Musik aufnehmen und produzieren. Und dann haben wir gelernt, wie Musiksoftware funktioniert oder welches Mikrofon am besten für die eigene Stimme klingt oder wie man ein Tonstudio verkabelt. Aber eigentlich wollten wir doch alle gemeinsam die eigene Musik machen, oder?
Nun, wer es sich leistet, ins professionelle Tonstudio zu gehen, der erhält das Privileg, sich wirklich nur auf seine Musik fokussieren zu können. Der gesamte Rest wird dann vom Tontechniker übernommen, er ist für die Technik verantwortlich. Ich halte das für einen wahnsinnigen Vorteil, denn nur wer fokussiert an etwas arbeitet, wird entsprechende Ergebnisse vorweisen können. Denn nur dann fließt die gesamte verfügbare Zeit in die Musik ein, statt in irgendwelche Nebenschauplätze.
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Fazit Tonstudio vs. Homerecording
Die Entscheidung zu fällen ist nicht einfach, denn beide Möglichkeiten haben ihre eigenen Vorzüge. Und viele der von mir hier vorgebrachten Argumente können auch anders ausgelegt werden – je nachdem, wie man es sehen möchte. Typischerweise gibt es zwei Fallen, in die viele Bands tappen, wenn die Entscheidung Tonstudio vs. Homerecording gefällt werden soll. Zum einen gehen einige Bands mit einem Budget von 2.000 Euro in ein professionelles Umfeld und hoffen, damit ein ganzes Album produzieren zu können. Das ist leider in den meisten Fällen nicht möglich – selbst wenn die Band richtig gut spielen kann. Das Budget sollte an das Projekt angepasst werden und in einem sinnvollen Verhältnis stehen.
Zum anderen nehmen viele Musiker „selbst machen“ im Kontext von Homerecording viel zu wörtlich. Musik selber machen muss nicht bedeuten, dass alle Schritte von dir selbst erledigt werden müssen. Es können auch gewisse Teile an andere Musiker/Produzenten weitergeleitet werden (bspw. könntest Du das Mastering an einen Profi geben). Und zudem kannst Du dir für das Einspielen von Parts oder das Komponieren von Songs auch andere Musiker in dein eigenes Projektstudio einladen.
Und welches ist nun deine Wahl – Tonstudio oder Homerecording?