EBU-Norm R128 – Die leise Revolution der Pegelmessung

R128
EBU-Norm R128- Richtlinie zum Pegeln von Audiomaterial im Broadcast-Bereich

Friedemann Tischmeyer Von Friedemann Tischmeyer

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EBU-Norm R128

Im Rahmen des kürzlich auf delamar erschienenen Artikels über True Peak Level habe ich bereits angedeutet, dass das Thema Metering aktuell noch wesentlich ergiebiger ist und sich fern von den Ohren der Tonschaffenden, die nur gelegentlich für das Fernsehen arbeiten, eine kleine Revolution abspielt. Jahrzehntelang gelehrte und praktizierte Standards, wie beispielsweise das Pegeln auf -9 dBFS (QPPM) für den Broadcastbereich verlieren ihre Gültigkeit und werden durch neue Standards ersetzt.

Warum ist die Werbung immer lauter als der Film?

Die Revolution hat den Codenamen »R128«, wobei das R nicht für Revolution, sondern für Recommendation steht. Es handelt sich dabei um eine Empfehlung der European Broadcast Union (EBU), die den aus Hörersicht lästigen Pegelsprüngen innerhalb und zwischen Programmen, vor allem bei Werbung und Trailern, endlich ein Ende bereiten soll, indem ein Paradigmenwechsel beim Pegeln von der Peak- zur Lautheitsnormalisierung etabliert wird.

Aus der Sicht des Hörers kann es diesem schon recht absurd vorkommen, dass die Welt der Tonmeisterei mit all ihren Experten ein so banales Problem wie das Pegeln von Programminhalten bisweilen so sagenhaft unzufriedenstellend bewältigt hat. Dies hat schließlich zu massiven Beschwerdewellen bei Sendern geführt, die sich auch bis zum EU-Kommissariat für Verbraucherschutz herumgesprochen haben.


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In Konsequenz hat dies die EBU dazu veranlasst, die in der Verbandsgeschichte bislang größte Expertengruppe namens PLOUD mit circa 250 Mitgliedern zu gründen, um dieses Problem endlich aus der Welt zu schaffen. Allerdings hat sich dabei gezeigt, dass die Lösung vermeintlich simpler Probleme durchaus komplexe Ausmaße annehmen kann und jeder, der sich schon einmal mit Metering beschäftigt hat, ahnt, dass Lautheitsmessung bei weitem kein triviales Thema ist.

Neue EBU-Norm: Stichtag 01.01.2012

Die Tatsache, dass innerhalb der EBU vor allem die öffentlich-rechtlichen Sender Europas organisiert sind, führte dazu, dass vor allem die darin organisierten Fernsehanstalten an einer raschen Umsetzung der Richtlinien 128 interessiert waren. Daher haben zuerst die ARD-Anstalten sowie das ORF zum 01.01.2012 auf lautheitsnormalisierte Pegelung umgestellt. Das Schweizer Fernsehen schloss sich erst Ende Februar an, die RTL-Gruppe folgte Anfang Mai. Die übrigen, vorwiegend in München ansässigen deutschsprachigen Privatsender wissen zurzeit jedoch noch nicht so genau, was sie von R128 halten sollen. Verbindliche Aussagen dazu sind von ihnen bisher ausgeblieben. Soweit so gut.

Warum ist die Werbung lauter als der Film
Mit dem entspannten Fernsehen ist es meist vorbei, sobald die Werbung beginnt. Dann wird es meistens richtig laut!

Meine R128-Workshops pflege ich stets mit den Worten »Willkommen im Abenteuerland R128« zu eröffnen. Denn eines ist wahr: Wer schon einmal Audio an einen Fernsehsender geliefert hat, sei es für eine Werbung oder eine TV-Serienmischung, ahnt, welches Potenzial an Sprengstoff in einem derartigen Umstellungsprozess vorhanden ist. Daran schließen sich eine Vielzahl ungemein wichtiger Fragen an, als da beispielsweise wären:

  • Sind alte Werbespots mit R128 kompatibel und wie wirken sie im Block?
  • Sind neue R128-Werbespots mit alten Spots kompatibel, wenn sie auf Sendern gespielt werden, die noch nicht umgestellt haben?
  • Wie komme ich durch die Abnahme in der Qualitätssicherung eines Fernsehsenders, wenn im Sender genauso wenig Erfahrung über den neuen Sendestandard vorhanden ist, wie auf der Produktionsseite?
  • Müssen zwei Mischungen gemacht werden, solange unklar ist, ob ein TV-Beitrag auf Lautheits- oder Peak-Normalisierung gesendet wird?

Meine pragmatische Herangehensweise ist diese: Das Fehlerpotenzial, hervorgerufen durch den Mangel an Erfahrung und auch Kenntnissen, lässt sich ganz einfach durch das Aneignen von Wissen kompensieren. Zum jetzigen Zeitpunkt kann sich dieses Wissen logischerweise hauptsächlich auf das tiefgreifende technische Verständnis des neuen Standards konzentrieren, da es bisher wenig praktische Erfahrung gibt. Deshalb gilt es zunächst, sich mit den eigentlichen Eckparametern des neuen Standards vertraut zu machen, die ich im Nachfolgenden näher erläutern möchte.

Ein wichtiger Paradigmenwechsel: Weg von der Peak- und hin zur Lautheitsnormalisierung

Um dies einfach darzustellen, bediene ich mich einiger Bilder, die freundlicherweise von Florian Camerer, dem Chairman der PLOUD-Gruppe zur Verfügung gestellt wurden. Die folgende Abbildung zeigt, was mit dem von mir angesprochenen Paradigmenwandel gemeint ist. In der »alten Welt« haben wir uns immer am Peak-Wert orientiert und alles »an die Decke genagelt«, wie ich bildlich zu sagen pflege. Das hat zur Folge, dass Programmsegmente mit hoher Dichte (Hyperkompression) lauter wahrgenommen werden als Programminhalte mit mehr Dynamik. Dies trifft auch zu, wenn beide Segmente den gleichen Peak-Wert von theoretisch -9 dBFS (QPPM) aufzeigen.

R128
Die Abbildung zeigt bildhaft den Paradigmenwechsel von der Peak- hin zur Lautheitsnormalisierung von Pegeln

Im rechten Teil der Abbildung sehen wir die Normalisierung am so genannten Center of Gravity bei -23 LUFS. Was es mit dieser Einheit auf sich hat, erläutere ich später. Wichtig: Der Center of Gravity stellt das messtechnische Pendant zu einer sogenannten Vordergrundlautheit dar, die für das psychoakustische Lautheitsempfinden des Hörers relevant ist. In der Praxis bedeutet dies, dass ein herkömmlicher »Keulen-Commercial« so stark im Pegel abgesenkt wird, dass er als gleich laut empfunden wird, wie ein dynamischeres Programmsegment, wobei die magische neue Kennlinie auf 0 LU (Loudness Units) festgelegt wurde. Dies entspricht -23 LUFS in der absoluten Skala, welches in etwa
-24 dBFS RMS entspricht, da das in der R128-Lautheitsmessung angewendete Gating – dazu später ebenfalls mehr – diesen Offset verursacht. Die folgende Abbildung zeigt anschaulich, wohin uns Peak-Normalisierung geführt hat:

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In dieser Grafik ist das ungleichmäßige Sendeergebnis mit starken Lautheitssprüngen dargestellt, das in Folge von Peak-Normalisierung auftritt

In der nächsten Abbildung ist schließlich zu sehen, wie die unterschiedlich dichten Programmsegmente am Center of Gravity ausgerichtet sind:

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Hier sehen Sie einen Loudness-normalisierten Programmablauf nach dem R128-Standard. Die »Points of Gravity« sind auf eine integrierte Lautheit von 0 LU = -23 LUFS normalisiert

Damit dürfte das Prinzip schon einmal klar sein. Jetzt brauchen wir uns nur noch die neuen Parameter anzuschauen, mit denen der Center of Gravity und andere wichtige Werte ermittelt und angezeigt werden.

Im Zuge dieser Umstellung wurde quasi die neue Pegel-Währung LU eingeführt, was die Abkürzung für »Loudness Unit« ist. Im Prinzip entspricht ein LU dabei einem Dezibel, wobei sich die Frage stellt, warum also eine neue Messgröße eingeführt wird. Der Grund: LU steht lautmalerisch dafür, dass wir uns in der »neuen Welt« befinden und somit Pegel mit einer sogenannten K-Gewichtung (nicht zu verwechseln mit dem von Bob Katz ersonnenen K-Metering), Channel Summing und Gating messen. Würden wir dasselbe in Dezibel angeben, müssten wir beispielsweise »X,XX dBFS-K-gewichtet-mit-Channel-Summing-und-Gating« schreiben, um genau anzugeben, mit welcher Methode gemessen wurde.

Dieses Beispiel ist natürlich etwas übertrieben, es zeigt jedoch, dass eine klare Kennzeichnung auf Dezibel-Basis zu komplizierten Buchstaben-Kolonnen führen würde. Mit der Bezeichnung »LU« hingegen wissen wir, dass wir uns in der neuen Welt der R128-Messung befinden. Die LU-dB-Entsprechung hat dabei den Vorteil, dass, wenn wir eine Mischung auf 0 LU normalisieren wollen und unser R128-Meter +3,2 LU anzeigt, wir uns einer herkömmlichen DAW-Gain-Anpassung bedienen können und eine Pegelabsenkung von 3,2 Dezibel zu einem Ergebnis von 0 LU führt.

 

LU – eine neue Messgröße

Um Ihnen nun ein Gefühl dafür zu geben, wie laut (oder leise) zukünftige Sendeinhalte abzugeben sind, möchte ich zwei Beispiele anführen: Das Audio-Master einer normalen CD-Veröffentlichung, die nach dem TT-Dynamic Range Meter einen Wert von DR3 besitzt, etwa der Titel »Why do you love me« von Garbage, muss um 18,6 Dezibel im Pegel reduziert werden, um dem neuen Sendepegel nach R128 zu entsprechen. Das hört sich zunächst ziemlich übertrieben an, was sich jedoch relativiert, wenn man R128, respektive 0 LU dem alten Sendepegel gegenüberstellt. Fernsehsender, die künftig nach R128 ausstrahlen, werden den Sendepegel um etwa drei Dezibel senken. Eine TV-Mischung nach R128 ist also circa drei Dezibel leiser als nach dem -9 dBFS (QPPM)-Standard. In Konsequenz haben wir also nach dem Absenken des Pegels um drei Dezibel also mehr Spielraum nach oben, damit sich Transienten darin ausleben können.

Der große Offset, der sich zwischen Musik von CD und Wide-Range-Broadcast-Programmen ergibt, erklärt sich dadurch, dass das Broadcast-Programm von Haus aus ungleich vielseitiger ist. Im Broadcast-Bereich werden sehr unterschiedliche Inhalte von Moderation über Wetterbericht bis hin zum Spielfilm gesendet, weshalb in der alten QPPM-Welt bereits ein gewisser Headroom eingehalten wurde, der zu dem Offset von lediglich drei Dezibel zum R128-Standard führt. Musik wird im Gegensatz dazu generell Peak-normalisiert und für gewöhnlich hyperkomprimiert, weshalb dieser Offset viel höher ausfällt.

Lautheitsmessung nach R128 erfordert neue Messinstrumente

Um die so genannte Program Loudness zu messen ist erst einmal ein EBU Meter erforderlich. Alte Messtechnik ist somit obsolet und jedes Studio, das Audio an TV-Stationen liefert, braucht nun ein EBU-konformes Messgerät. Das Pinguin Multimeter ist ein softwarebasiertes Meter der ersten Stunde für Mac und PC, das auch von allen ARD-Anstalten eingesetzt wird (nähere Infos dazu finden Sie unter www.audiotechknowledge.com.

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Das Pinguin PG-AMM ist die Mutter der R128-Meter und bietet außer einer reichen Auswahl an Echtzeitinstrumenten auch eine Option zur Offline-Lautheits-Normalisierung nach R128

Der Begriff »Program Loudness« impliziert, dass es sich um eine integrierte Messung handelt, was nichts anderes heißt, als dass ein Zeitraum von einem Start- bis zu einem Endpunkt gemessen wird. Ein »Program« kann dabei zehn Sekunden (ein Werbespot), einige Stunden oder irgendeine beliebige andere Zeitspanne lang sein.
Demzufolge hat ein Echtzeit-EBU-Meter einen Start- und Stopp-Schalter, um eine integrierte Messung vorzunehmen:

R128
Das EBU integrated Fenster des Pinguin-Plug-ins bietet außer der obligatorischen Start/Stop/Pause-Funktion eine numerische Ausgabe der integrierten Lautheit (rechts oben), Angabe des LRA (links oben), der Short-Term Loudness (links unten) sowie der abgelaufenen Messzeit. Das Gate unterbricht die Messung automatisch, wenn das zu messende Signal gestoppt wird. Unten links lässt sich die Messung zwischen relativ (LU) und absolut (LUFS) umstellen.

Bei kurzen Programmsegmenten ist das zwar praktikabel, bei Spielfilmmischungen jedoch etwas unkomfortabel. Gewöhnlich werden während Filmmischungen besonders die lauten Actionszenen häufig zurückgespielt, um Korrekturdurchläufe vorzunehmen, was den integrierten Program-Loudness-Wert nach oben verfälscht, weil sich jeder Durchlauf auf die Messung auswirkt. Kein Tonmeister wird die Zeit haben, vor jeder Korrektur die Messung zu stoppen. In der Praxis ist dann zumeist keine Zeit, den gesamten Film für eine Messung in Echtzeit durchlaufen zu lassen, um ein präzises Ergebnis zu messen. Daher dient die integrierte Echtzeitmessung in der Filmmischung der Vororientierung, um im Anschluss den Ton mittels Offline-Normalisierung fein zu korrigieren. In der Regel ist dieses Verfahren einfach handhabbar, da durch leichte Pegelkorrekturen (Normalisierung) einer bereits vom Regisseur abgenommenen Mischung die Mischintegrität nicht manipuliert wird.

Doch wie wird Lautheit gemessen? Lautheitsmessung ist im Wesentlichen die Errechnung des quadratischen Mittelwertes des Pegels über einem Zeitfenster (beispielsweise drei Sekunden). Dieser Wert wird als RMS (Root Mean Square = quadratischer Mittelwert) bezeichnet. Solange es lediglich um die Errechnung eines Wertes geht, ist die Welt noch in Ordnung, da es sich um eine einfache und reproduzierbare Angelegenheit handelt. Stellt man jedoch den Anspruch, mit diesem Wert die psychoakustisch empfundene Lautheit so darzustellen, dass das Messergebnis für ein breites Spektrum an Programmmaterial und eine breite Hörerschaft mit einem subjektiv gleichen Lautheitsempfinden korreliert, so haben wir das Land der Hoffnung und Mythen betreten. Denn diesen Anspruch erfüllen zu können, ist auch mit R128 nicht vollständig möglich und es ist unwahrscheinlich, dass dieser heilige Gral der Lautheitsmessung jemals vollständig geknackt wird. Dafür haben wir mit R128 einen Lautheitsstandard, der es ermöglicht, ein breites Spektrum an Programmmaterial so zu bemessen, dass die hörerabhängig unterschiedlich ausfallenden Toleranzen im Grenzbereich des Vertretbaren liegen.

K-Gewichtung, Channel Summing und Gating

Daran schließt sich die Frage an, wie die integrierte Program-Loudness-Messung nach R128 nun genau funktioniert, was ich im Folgenden erläutern möchte. Als erstes durchläuft das zu messende Audiosignal eine sogenannte K-Gewichtungskurve:

R128
Die in dieser Grafik dargestellte K-Gewichtung hat ihre Bezeichnung deshalb erhalten, weil K der nächste freie Buchstabe im Alphabet war, um eine neue Gewichtungskurve zu benennen

Hierbei wird ein Hochpassfilter angewendet, um tieffrequente Signalanteile zu dämpfen, da Bassanteile eine besonders hohe Varianz bei der subjektiven Lautheitsempfindung auslösen. Mensch A empfindet Bass X vielleicht als laut, während Mensch B den gleichen Bass als leise empfindet. Zusätzlich wird ein Kuhschwanzfilter angewendet, um obere Mitten und Höhen anzuheben. Ich vermute an dieser Stelle, dass damit die so übertrieben mit Höhen produzierten Stimmen der Werbespots abgestraft werden, da dieser Frequenzbereich zur Messung angehoben wird. Anschließend durchläuft die Messung eine Summierung:

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Das Kanalsummierungsdiagramm für die R128-Lautheitsmessung. RLB steht für „Revised Lowfrequency B-Curve“ und bezeichnet die überarbeitete Lowcut-Filterung während der Prefilter den Kuhschwanzfilter darstellt.

Das hat den Vorteil, dass wir es nur noch mit einem Wert zu tun haben und uns den Umgang mit Einzelkanalwerten ersparen können. Bei Surround-Mischungen wird der Pegel der hinteren Kanäle im Messweg um 1,5 Dezibel angehoben, um den so genannten Tigereffekt zu kompensieren. Denn der Mensch empfindet Signale von hinten als lauter (falls er einmal hinterrücks von einem Tiger angegriffen wird), hervorgerufen durch ein Urmuster, das sich trotz evolutionärer Degeneration bis heute aufrechterhalten hat. Das LFE-Signal wird hingegen ausgelassen, weil hierzu noch ungenügende Erfahrungen vorliegen und die Berücksichtigung von Signalen unter 80 Hertz der Herangehensweise der Hochpassfilterung widersprechen.
Als nächstes durchläuft der Messsignalweg ein absolutes Gate bei -70 LU. Dieses Gate verhindert Messverfälschungen, indem es unmöglich gemacht wird, Stille mitzumessen, so wie es in begrenztem Maße bei der sogenannten LEQ-Messung für den Kinoton möglich ist, um den Wert etwas nach unten zu schummeln und lauter als der Mitbewerber zu werden. Nach dem ersten Gate wird ein zweites relatives Gate eingesetzt, dass mit einem Versatz von -8 LU zum Ergebnis des ersten Messzyklus dynamisch mitläuft. Zur Harmonisierung mit der ITU (amerikanisches Pendant der EBU) wird dieser Offset übrigens demnächst auf -10 LU im R128-Standard nachkorrigiert.

Nach dem eben Beschriebenen stellt sich automatisch die Frage, was das Gating für einen Sinn hat und welchen Zweck es erfüllt. Dazu ein Beispiel: Stellen Sie sich ein gleichmäßiges Programm A vor, das auf 0 LU normalisiert ist. Nun nehmen wir ein anderes Programm B, das aus leisen Pausen mit Hintergrund-Atmosphäre und gelegentlichen lauten Dialogen besteht. Errechnen wir jetzt die durchschnittliche Lautheit über alles, wird der Durchschnittswert von B wesentlich niedriger sein, was nach einer Normalisierung auf 0 LU dazu führt, dass die lauten Dialoge wesentlich lauter als in Beispiel A sind. Die Lösung: Gating entfernt leisere Hintergrundereignisse aus der Messung, damit nur die für die Lautheitsempfindung wichtigen Vordergrundereignisse in die Messung einfließen und so zu einem gleichmäßigen Programmverlauf führen. Das Gating ist daher der Grund, weshalb ein herkömmlich gemessenes Programm mit -24 dBFS (RMS) in etwa -23 LU entspricht, da die via Gating weggenommenen Anteile die LU-Messung um etwa ein Dezibel anhebt, was aber lediglich auf Programme zutrifft, die gegatete Signalanteile besitzen.

 

Short-Term und Momentary Loudness

Das primär zu erreichende Ziel bei einer R128-Mischung ist also ein Lautheitspegel von 0 LU, wobei dies der intuitivere Wert der relativen Skala ist und -23 LUFS in der absoluten Skala entspricht. Die Sendeanstalten sehen bei der Abgabe von R128-Mischungen übrigens eine Toleranz von plus/minus 0,0 LU vor. Ich empfehle daher die Nutzung der relativen Skala, an die man sich rasch gewöhnt. Messen Sie hier mit +1,2 LU, so brauchen Sie das gerenderte Master nur um 1,2 Dezibel im Pegel abzusenken und haben eine Mischung mit einer Lautheit von 0 LU. Der zweite Parameter für die Qualitätskontrolle der finalen R128-Mischung ist TPL. Der True Peak Level ist mit einem Maximalwert (PML = Permitted Maximum Level) von -1 dB TPL einzuhalten. Dies dürfte leicht fallen, da wir durch die geänderte Arbeitsweise seltener »an die Decke« mischen. Das macht Ihre Mischung jedoch mit der alten Welt inkompatibel, sofern Sie es mit der Dynamik übertreiben.

Als großer Fan von Dynamik empfehle ich daher die Politik der kleinen Schritte. Dies ermöglicht einen sanften Übergang zurück zu angenehmeren Mischungen, bei der sich Werbeschaffende langsam an eine natürlichere Hörästhetik zurückgewöhnen. Wenn in vielleicht ein bis zwei Jahren alle Fernsehsender umgestellt haben, haben sich die Ohren der Werbeproduzenten auch wieder an Stimmen gewöhnt, die sich nicht pauschal ins Ohr zu bohren versuchen und wieder menschlich klingen.

Um das ganze Thema noch etwas komplexer zu machen, möchte ich noch zwei weitere Lautheitsmessverfahren kurz vorstellen, die eine schnelle, numerische und grafische Beurteilung der Ist-Lautheit ermöglichen. Dies ist erforderlich, weil sich die integrierte Messung wie eine Anzeige des durchschnittlichen Spritverbrauchs verhält. Dazu wiederum ein Beispiel: Nach dem Volltanken (Start) spiegeln sich Abweichungen nach oben oder unten (Stau oder Landstraße) rasch in der Anzeige wider. Nach 500 Kilometer Fahrt brauchen Sie hingegen einen langen Stau, um den Durchschnittwert noch wesentlich nach oben zu bekommen. Übertragen auf die integrierte Lautheitsmessung bedeutet dies, dass sich Ihr LU-Wert der integrierten Messung nur sehr langsam nach oben bewegt, auch wenn im Spielfilm nach 60 Minuten gerade eine Bombe nach der anderen hochgeht. Aus diesem Grund und zum Zweck der zuverlässigen Pegelung von Live-Programmen gibt es die sogenannte Short-Term Loudness (3 Sekunden Messfenster) und die Momentary Loudness (400 ms). Beide Messungen arbeiten ohne Gating, jedoch mit K-Gewichtung und Kanalsummierung. Dabei sind die Momentary-Werte aufgrund des kürzeren Messfensters grundsätzlich immer etwas höher als die Short-Term-Werte. Dafür aktualisiert sich die Momentary-Messung schneller und ist grafisch flüssiger darstellbar.

 

Lautheitsnormalisierung – ein komplexes Thema

Es ist zu erwarten, dass in Zukunft für die Produktion von Werbespots maximale Momentary- und Short-Term-Loudness-Werte festgelegt werden. Dies soll verhindern, dass gewiefte Produzenten 20 Sekunden kurz über dem Threshold sind (Atmosphäre), um dann in den letzten 10 Sekunden richtig Radau zu machen. Derartigen Versuchen ist nur mit manuellem Nachpegeln der Werbeblöcke und mit verbindlichen Maximalwerten beizukommen. Im Gespräch sind zurzeit die Obergrenzen +8 LU für Momentary- und +3 LU für Short-Term-Messungen in Bezug auf 0 LU. Die Notwendigkeit einer derartigen Ergänzung liegt alleine schon darin begründet, dass Lautheitsmessung per se bei kurzen Segmenten umso schwieriger wird, je kürzer sie sind. Ein Zehnsekünder bietet gerade einmal drei Messpunkte, sodass Ungenauigkeiten bei der Lautheitsmessung des »Hauptstörenfrieds« Werbespot vorprogrammiert sind. Im Film-Mixing sind die Probleme jedoch gänzlich anders gelagert. Da der Bezug auf den Dialog fehlt, so wie es im Kinoton mit Dolbys »Dial Norm« üblich ist, kann der Dialog einer Dokumentation, in der der Dialog dominiert und die atmosphärischen Anteile leise sind, um bis zu +4 LU lauter sein als der Dialog bei einem Spielfilm mit vielen lauten Actionszenen, die im Pegel kontrastreich über dem Dialog angesiedelt werden. Die lauten Actionszenen ziehen den Durchschnitt nach oben und machen den Dialog relativ gesehen leiser.

Nach diesen Ausführungen möchte ich noch einmal meinen Ausspruch »Willkommen im Abenteuerland R128« wiederholen. Denn wie Sie sehen, kommen spannende Zeiten auf uns zu. Weitere Informationen rund um die Pegelmessung finden Sie im Artikel über True Peak Level.

Zum Autor: Friedemann Tischmeyer ist Mastering-Ingenieur und Lautheitsexperte. Als Pro Audio Consultant hat er die führenden deutschen Werbemusik- und Kino/TV-Mixing-Studios auf den kommenden Wandel vorbereitet. Auf www.audiotechknowledge.com finden Sie weitere Informationen über individuelle R128-Fortbildungen auch für Ihren Studiobetrieb sowie messtechnische Lösungen. Im Rahmen der Ausbildung der Mastering Academy wird tiefer auf das Thema Metering und R128 eingegangen.

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